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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziegler Jean
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noch so übertrieben erscheinen, sich aber nach meiner Überzeugung in vollkommener Übereinstimmung mit der Natur und Situation des Menschen befindet – liegt klar auf der Hand, dass es für die Erzeugung von Nahrung und anderen lebensnotwendigen Dingen eine Grenze geben muss. Wenn sich das Wesen des Menschen und seine Situation auf Erden nicht grundsätzlich wandeln sollten, lässt sich die Gesamtheit aller lebensnotwendigen Dinge niemals in ausreichender Menge bereitstellen. Schwerlich ist eine Gegenwart vorstellbar, die verhängnisvoller wäre und geeigneter, die Menschheit ins Unglück zu stürzen, als Verhältnisse, die die Möglichkeit zu unbegrenzter Nahrungserzeugung auf begrenztem Raum böten …« und weiter:
    »Der allgütige Schöpfer, der die Bedürfnisse und Notwendigkeiten seiner Geschöpfe gemäß der von ihm beschlossenen Gesetze kennt, hat uns in seiner Gnade nicht alle lebensnotwendigen Dinge in ausreichender Menge zur Verfügung stellen wollen. Doch wenn wir einräumen (und wir können uns dem nicht verschließen), dass der auf einen bestimmten Raum eingeschränkte Mensch mit seiner Getreideproduktion an Grenzen stößt, dann hängt der Wert des tatsächlich in seinem Besitz befindlichen Bodens von dem bisschen Arbeit ab, die notwendig ist, um aus ihm den Ertrag zu gewinnen, den die von diesem Boden ernährbaren Menschen brauchen.«
    Diese Theorie herrschte fortan und hält sich noch immer in einem Teil der öffentlichen Meinung: Die Bevölkerung wächst unaufhaltsam, während die Nahrung und das sie produzierende Land begrenzt sind. Der Hunger verringert die Zahl der Menschen. Er sorgt für ein Gleichgewicht zwischen ihren ununterdrückbaren Bedürfnissen und den verfügbaren Ressourcen. So macht die Natur – oder gar Gott oder die Vorsehung – aus einem Übel etwas Gutes.
    Für Malthus war der Bevölkerungsrückgang durch den Hunger die einzige Möglichkeit, um die unausweichliche wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden. Der Hunger unterliegt also dem Gesetz der Notwendigkeit.
    Folgerichtig enthält die Abhandlung über das Bevölkerungsgesetz heftige Angriffe auf die »Sozialgesetze«, die zaghaften Versuche der britischen Regierung, mit den ersten Ansätzen einer staatlichen Fürsorge das schreckliche Los der proletarischen Familien in den Städten zu lindern. Malthus schreibt: »Wenn ein Mann von seiner Arbeit nicht leben kann, so ist das für ihn und seine Familie eben nicht zu ändern.«
    Und ein Stück weiter: »Der Pfarrer muss den Verlobten mitteilen: Wenn ihr heiratet, wenn ihr Kinder zeugt, werden diese von der Gesellschaft keine Hilfe zu erwarten haben.«
    Dann heißt es: »Epidemien sind notwendig.«
    Für Malthus wird der Arme im Fortgang seines Buchs zu seinem ärgsten Feind: »Sozialgesetze sind schädlich … Sie ermöglichen den Armen, Kinder in die Welt zu setzen … Die von der Natur verhängte Strafe: die Not … Er [der Arme] muss wissen, dass die Naturgesetze, die Gottes Gesetze sind, ihn und seine Familie zum Leiden verurteilen.«
    Und schließlich: »Die Kirchensteuern sind [für die Armen] erdrückend? Um so besser.«
    Eine solche Theorie konnte nicht ohne rassischen Differentialismus auskommen. Tatsächlich lässt Malthus in seinem Buch die Völker der Welt Revue passieren. Von den Indianern Nordamerikas schreibt er beispielsweise: »Diese Jägervölker sind wie die Raubtiere, denen sie ähneln.«
    Die Abhandlung über das Bevölkerungsgesetz fand augenblicklich großen Anklang in den herrschenden Klassen des britischen Empires. Das Parlament debattierte darüber. Der Premierminister empfahl ihre Lektüre.
    Rasch verbreiteten sich seine Thesen in ganz Europa. Denn die malthusianische Ideologie leistete den Interessen der herrschenden Klassen und ihren Ausbeutungspraktiken beneidenswerte Dienste. Zugleich ermöglichte sie die Lösung eines scheinbar unüberwindlichen Konflikts: die »Erhabenheit«, die dem zivilisatorischen Auftrag des Bürgertums innewohnte, mit den von ihm geschaffenen Hungersnöten und Massengräbern zu versöhnen. Machte man sich Malthus’ Sicht der Dinge zu eigen, so waren die durch den Hunger hervorgerufenen Leiden, die Vernichtung so vieler Tausender Menschen gewiss entsetzlich, aber offensichtlich notwendig für das Überleben der Menschheit – die Bourgeoisie beschwichtigte ihre Gewissensbisse.
    Die wahre Bedrohung sei die Explosion des Bevölkerungswachstums. Ohne die Beseitigung der Schwächsten durch den Hunger würde der Tag kommen, an

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