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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziegler Jean
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dem auf dem ganzen Planeten kein Mensch mehr essen, trinken oder atmen könne.
    Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts trieb die malthusianische Ideologie ihr Unwesen im Bewusstsein des Westens. Sie machte die meisten Europäer blind und taub für die Leiden der Opfer, vor allem in den Kolonien. Die Hungernden wurden in der ethnologischen Bedeutung des Wortes zum Tabu.
    Herrlicher Malthus!
    Wahrscheinlich ohne es zu wollen, befreite er die Bewohner der Herrschaftsstaaten des Westens von ihrem schlechten Gewissen.
    Wenn nicht eine schwere psychische Störung vorliegt, kann kein Mensch den Anblick eines Mitmenschen ertragen, der vom Hunger vernichtet wird. Indem Malthus das Massaker in unserem Denken heimisch machte, es ins Reich der Notwendigkeit verwies, entband er die Bewohner des Westens von ihrer moralischen Verantwortung.
    83 Thomas Malthus, The Crisis , ein Aufsatz, den er 1796 verfasste, für den er aber keinen Verleger fand.
    84 Der Untertitel änderte sich in den folgenden Ausgaben: » An Essay of the Principle of Population, a View of its Past and Present Effects on Human Happiness «. Die folgenden Zitate sind der von Pierre Theil übersetzten und eingeleiteten französischen Ausgabe entnommen: Paris, Éditions Seghers, 1963.

3
    Hitlers »Hungerplan«
    Seinen Sieg über Malthus verdankt Josué de Castro auch Adolf Hitler. Eines der wohl eindrucksvollsten Kapitel der Geopolitik des Hungers heißt »L’Europe, camp de concentration«.
    Castro: »In diesem Europa, von den nazistischen Heuschreckenschwärmen kahlgefressen, von Bomben zerstört, von Panik gelähmt, von der Fünften Kolonne, von Verwaltungschaos und Korruption ruiniert, breitete sich wieder der Hunger aus, und fast ganz Europa wurde zu einer Art Konzentrationslager.« 111
    An anderer Stelle heißt es: »In dem Maß, wie Deutschland in die verschiedenen europäischen Länder einfiel«, führte es dort seine Politik des »organisierten Hungers ein«. Castro zitiert dann Boris Shub, der meint, die politische Leitidee der Nazis habe darin bestanden, »das Ausmaß der Ernährungsbeschränkungen der Völker Europas so festzulegen, daß die mageren Rationen, die das Dritte Reich übrig gelassen hatte, entsprechend seinen militärischen und politischen Zielen zwischen ihnen aufgeteilt wurden« 112 .
    Bekanntlich waren die Nazimonster pedantische Bürokraten. Parallel zur Rassendiskriminierung führten sie eine ebenso minutiöse Ernährungsdiskriminierung ein, das heißt, sie teilten die Bevölkerungen in den besetzten Gebieten in vier Kategorien ein:
    »Gut ernährte« Bevölkerungsgruppen. Das waren Bevölkerungen, die in der deutschen Kriegsmaschinerie eine Hilfsfunktion innehatten.
    »Ungenügend ernährte« Bevölkerungsgruppen. Gruppen in den besetzten Gebieten, die sich infolge der Requirierung von Nahrungsmitteln pro Erwachsenem mit Tagesrationen von maximal 1000 Kalorien zufrieden geben mussten.
    »Hungernde« Gruppen. Sie umfassten die Bevölkerungsteile, deren Zahl die Nazis verringern wollten, indem sie ihnen weniger Nahrung zugänglich machten, als zum Überleben notwendig war. Dazu gehörten die Bewohner der meisten jüdischen Gettos in Polen, Litauen, der Ukraine und so fort, aber auch Roma-Dörfer in Rumänien und auf dem Balkan.
    »Zur Vernichtung durch den Hunger bestimmte« Gruppen. In manchen Lagern wurde die »schwarze Diät«, der Entzug von Nahrung, als Vernichtungswaffe eingesetzt.
    Adolf Hitler wendete genauso viel kriminelle Energie auf, um die europäischen Völker auszuhungern, wie er investierte, um die rassische Überlegenheit Deutschlands zu dokumentieren.
    Seine Hungerstrategie hatte ein doppeltes Ziel. Einerseits Deutschlands Autarkie zu sichern und andererseits die verschiedenen Volksgruppen dem Gesetz des Reichs zu unterwerfen.
    Hitler war besessen von der Furcht vor einer Nahrungsmittelblockade, wie die Briten sie im Ersten Weltkrieg über Deutschland verhängt hatten. Gleich nach der Machtergreifung 1933 schuf er den Reichsnährstand , eine Organisation, die den Auftrag hatte, die »Lebensmittelversorgung des deutschen Volkes« zu sichern. Ein Sondergesetz unterstellte alle Bauern, alle Nahrungsmittelfabrikanten, alle Viehzüchter, alle Fischer und alle Getreidehändler der Aufsicht des Reichsnährstands.
    Hitler wollte den Krieg. Zu dessen Vorbereitung legte er beträchtliche Nahrungsvorräte an. Zwei Jahre vor dem Überfall auf Polen war die Zwangsrationierung von Lebensmitteln minutiös vorbereitet worden. Zwischen

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