Wir lassen sie verhungern
1933 und 1939 vereinnahmte das Dritte Reich 40 Prozent aller Nahrungsmittelexporte aus Jugoslawien, Griechenland, Bulgarien, der Türkei, Rumänien und Ungarn. Vor 1933 waren es nie mehr als 15 Prozent gewesen.
Zu einem ersten Schurkenstreich kam es 1938: Am 29. und 30. September trafen sich in München Chamberlain, Daladier, Benesch und Hitler. Durch Erpressung verschaffte sich Hitler die Zustimmung zur Annexion des Sudetenlands unter dem Vorwand, dort sei der größte Teil der Bevölkerung deutschstämmig. Von den Westmächten im Stich gelassen, war die Tschechoslowakei der Willkür Hitlers ausgeliefert. Der zwang die Regierung in Prag schließlich dazu, ihm – kraft eines ordnungsgemäß unterzeichneten Vertrags – 750000 Tonnen Getreide zu verkaufen … die er nie bezahlte!
Sobald der Krieg erklärt war, organisierte Hitler in den besetzten Ländern einen systematischen Nahrungsmittelraub.
Die eroberten Länder wurden ausgeplündert, ihre Vorräte gestohlen, Ackerbau, Viehzucht und Fischereiwesen ausschließlich in den Dienst des Reichs gestellt. Die siebenjährige Erfahrung des Reichsnährstands erwies sich als wertvoll. Regelmäßig schröpfte diese Organisation, die über Tausende von Güterwagen und Agronomen verfügte, die Nahrungsmittelwirtschaften Frankreichs, Polens, der Tschechoslowakei, Norwegens, Hollands, Litauens etc.
Als Arbeitsminister (Leiter der Deutschen Arbeitsfront) des Dritten Reichs war Robert Ley auch für den Reichsnährstand verantwortlich. Ley: »Eine tieferstehende Rasse braucht weniger Raum, weniger Kleider, weniger Essen und weniger Kultur als eine hochstehende Rasse.« 113
Die Plünderung der besetzten Länder bezeichneten die Nazis als Kriegsrequirierung.
Der Überfall auf Polen fand im September 1939 statt. Augenblicklich annektierte Hitler die Getreideanbauflächen im Westen und unterstellte sie sofort der direkten Verwaltung des Reichsnährstands. Diese Region wurde vom Generalgouvernement Polen – so die deutsche Bezeichnung für die besetzen polnischen Gebiete und ihre Verwaltungsstruktur – abgetrennt und dem Reich als Wartheland 114 eingegliedert. Zu Beginn des Winters 1939 mussten die Bauern des Warthelands ihren neuen Herren – ohne die geringste Entschädigung – 480000 Tonnen Weizen, 50000 Tonnen Gerste, 160000 Tonnen Roggen, mehr als 100000 Tonnen Hafer und Zehntausende Stück Vieh (Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen und Hühner) abliefern.
Doch im Generalgouvernement war die Plünderung nicht weniger gründlich. Dort organisierte Generalgouverneur Hans Frank, dessen Gangstermentalität Curzio Malaparte in seinem Roman Kaputt unübertrefflich schildert, 115 die Raubzüge. Allein im Jahr 1940 stahl er im kolonisierten Polen 100000 Tonnen Weizen, 100 Millionen Eier, 10 Millionen Kilogramm Butter und 100000 Schweine und schickte sie ins Reich.
So hielt der Hunger Einzug im Wartheland und in ganz Polen.
Zwei Länder hatten besondere Voraussicht bewiesen: Norwegen und die Niederlande.
Norwegen hatte zur Zeit der napoleonischen Kontinentalsperre eine schreckliche Hungersnot erlebt. Nun machte es sich den Umstand zunutze, dass es die drittgrößte Handelsflotte der Welt besaß.
Die Regierung in Oslo ließ während der Dreißigerjahre in der ganzen Welt Nahrung zusammenkaufen. Hoch im Norden wurden an den Ufern der Fjorde Tausende Tonnen von Stock- und Klippfisch, Reis, Weizen, Kaffee, Tee, Zucker und Tausende Hektoliter Öl eingelagert.
Die Niederländer verfuhren genauso. Als die Nazis Polen überfielen, nahm die Regierung in Den Haag in der ganzen Welt Dringlichkeitskäufe vor. Sie legte sich einen Vorrat von 33 Millionen Hühnern an und erhöhte den Schweinebestand um 1,8 Millionen Stück.
Als die Naziarmeen über Norwegen und die Niederlande herfielen, trauten die Reichsnährstandsfunktionäre, die ihnen auf dem Fuße folgen, ihren Augen nicht: Sie hatten ihre Plünderungspläne nach den alten Zahlen aufgestellt. Überglücklich entdeckten sie die unerwarteten Schätze – und stahlen alles.
1940 besetzten die Nazis Norwegen. Drei Jahre später zog die norwegische Wirtschaftswissenschaftlerin Else Margrete Roed eine erste Bilanz:
»Wie ein Heuschreckenschwarm fielen sie [die Deutschen] über das Land her und verschlangen alles, was sie fanden. Nicht nur, dass wir Hunderttausende gefräßige Deutsche durchfüttern mussten, vielmehr kehrten auch die deutschen Schiffe, die die Soldaten [zu uns] gebracht hatten, vollbeladen mit norwegischen Nahrungsmitteln
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