Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Erwachsene tragen oft zehn bis fünfzehn Kilogramm Fettgewebe mit sich herum, einen Kalorienvorrat, der uns zwei bis drei Monate versorgen könnte. Eine bessere Möglichkeit, zukünftigen Mangelsituationen zu begegnen, kann man sich fast nicht vorstellen.
In den Industrieländern nehmen 80% der Menschen im fünften Lebensjahrzehnt zu. Laut einer Untersuchung steigt der Körperfettanteil im Verlauf des fünften und sechsten Jahrzehnts bei Männern von 23,6 auf 29,3% an, bei Frauen von 33,4 auf 37,8%. Die durchschnittliche Gewichtszunahme beträgt ein Gramm pro Tag, und auch wenn das erstmal harmlos klingt, kommt bei genauerem Nachrechnen mit der Zeit doch einiges zusammen. Dieses eine Gramm verdeutlicht zudem, welch enorme Auswirkungen derart minimale, wenngleich anhaltende Fehlkalkulationen auf unsere Essen-Bewegungs-Bilanz haben.
Bei all dem handelt es sich um Durchschnittswerte, die den Blick auf die tatsächlichen, sehr komplexen Zusammenhänge verstellen. Sozioökonomischer Status und Bildungsniveau spielen etwa bei mittel-alterlicher Fettleibigkeit eine Rolle. Frauen aus höheren Schichten sind in jungen Jahren meist schlanker und bleiben es im Grunde auch, wobei sie ihr Höchstgewicht im Middle-Age früher erreichen. Sozial höherstehende Männer neigen in der Jugend weniger zur Schlankheit, lassen sich aber spätermit dem Erreichen des Höchstgewichts mehr Zeit als Männer aus niedrigeren Schichten. In den Industrieländern haben Männer mit etwa fünfundfünfzig ihr Höchstgewicht, Frauen erst mit etwa fünfundsechzig. Doch trotz unserer gegenwärtigen »Übergewichtsepidemie« sind schlanke Menschen nicht dicker geworden. Sie sind so schlank wie eh und je, und das Durchschnittsgewicht hat nur zugenommen, weil dicke Menschen immer fetter wurden. Auch in den weniger entwickelten Ländern ist die Sachlage recht komplex. Konträr zu den Industrieländern ist eine Abnahme des Durchschnittsgewichts zwischen zwanzig und fünfzig zu beobachten, wobei in manchen Ländern mittel-alterliches Übergewicht vorkommt, obwohl gleichzeitig Kinder unterernährt sind.
Im Verlauf des menschlichen Lebens gibt es fünf Phasen der Fettaufnahme, aber nur aus den ersten vier kann ein erkennbarer Nutzen gezogen werden. Die erste tritt gegen Ende des fötalen Stadiums auf, wenn sich eine dünne Fettschicht um das legt, was bislang ein weitgehend fettfreies Gerüst war. Sie bildet sich als Vorsorgemaßnahme hinsichtlich der Stoffwechselveränderungen, die im Zuge unserer Anpassung an die kalte, anspruchsvolle Außenwelt stattfinden. Die zweite Phase bildet die Fettablagerung in der frühen Kindheit, wenn große Energiemengen benötigt werden, um das rasche Wachstum, die intensive Aktivität und die Ausbildung unseres Gehirns zu ermöglichen. Beim Übergang vom Baby zum Kleinkind sind die meisten von uns ziemlich moppelig, unabhängig von der tatsächlichen jeweiligen Figur. Die dritte Phase tritt beim weiblichen Körper in der Pubertät auf, wenn die Östrogene für die Ausbildung der Fettpolster sorgen und so Mädchen mit ihren geschlechtstypischen Rundungen ausstatten. Die vierte Phase geht mit Schwangerschaft und Stillzeit, der Laktation, einher, wenn die Fettreserven um zwei bis fünf Kilo zunehmen, um den enormen Bedarf des Embryos und dann des Neugeborenendecken zu können. (Wenngleich in der Forschung nirgendwo erwähnt, würde ich eine weitere Phase der Fettablagerung zu dem Zeitpunkt einfügen, an dem wir aufhören zu wachsen. Viele Frauen nehmen nach Erreichen des achtzehnten Lebensjahrs zu, wohingegen Männer sich ihre jugendliche Schlankheit bis etwa zweiundzwanzig bewahren – denn erst da stellen die Knochen ihr Wachstum ein. Übermäßiger Alkoholkonsum kann in Kombination mit einem nicht weiterwachsenden Körper auch dazu führen, dass überschüssige Kalorien eingelagert werden.)
Der Sinn jeder dieser vier Phasen leuchtet uns unmittelbar ein, nur was es mit der fünften Phase, der im Middle-Age, auf sich hat, bedarf einer längeren Erklärung – ich werde gleich darauf zu sprechen kommen. Wir haben gesehen, dass viele Middle-Ager, sowohl in Industrie- als auch Entwicklungsländern, nicht dicker werden, eine Gewichtszunahme also keineswegs als universelles Phänomen gelten kann. Dennoch ist bei ausreichendem Nahrungsangebot eine Tendenz zur Gewichtszunahme klar erkennbar, auch wenn das schwer zu erklären ist.
Wenn Menschen dick werden, dann überall. Bei der Ablagerung von Fett wird der Großteil in
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