Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Middle-Age also unvermeidlich, aber man kann dem zumindest ein Stück weit vorbeugen, indem man alles lässt, was Diabetes, Bluthochdruck oder Arterioskleriose fördert, und zudem lauten Geräuschen ausweicht – wie man sieht, hatten unsere Eltern nicht ganz unrecht, als sie versuchten, uns in der Jugend Discolärm und Musikhören mit Kopfhörer madig zu machen. Rauchen schadet dem mittel-alterlichen Gehör, weil es die Blutzirkulation im Ohr hemmt und außerdem Krankheiten befördert, die sich wiederum negativ aufs Hören auswirken. Zu all dem kommt der bislang unerklärliche Umstand, dass Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status eher an Hörverlusten leiden, und das auch dann, wenn Faktoren wie eine höhere Lärmbelastung im Beruf keine Rolle spielen.
Ich bin mir nicht sicher, ob es die Bezeichnung »Presbyosmie« wirklich gibt, aber der Verlust des Geruchsinns kann im Middle-Age durchaus zum Problem werden, selbst wenn wir uns dieses Sinnes nicht so bewusst sind wie anderen – die dafür zuständige Gehirnregion ist im Vergleich zu Hunden, Karpfen und selbst Dinosauriern bei uns relativ klein. Den Geruchssinn zu messen, ist ziemlich schwer, aber ab fünfzig wird er definitiv schlechter – wenn nicht sogar schon früher. So zeigen etwa Untersuchungen, dass das mittel-alterliche Gehirn auf Geruchsstimuli langsamerreagiert als das Gehirn junger Erwachsener. Und auch wenn wir uns über Gerüche den Kopf eher nicht zerbrechen, spielen sie doch in vielen Bereichen unseres Lebens eine Rolle. Demgemäß kann abnehmendes Riechvermögen zu Depressionen, einem Rückgang der Libido, Anorexie und der versehentlichen Einnahme fauliger Nahrung führen. Parallel dazu schwindet unsere Fähigkeit, mit der Zunge Substanzen zu schmecken (»Presbygeusie«?) – Frauen haben ab fünfzig weniger Geschmacksknospen, wohingegen ein vergleichbarer Rückgang bei Männern aus unerfindlichen Gründen erst etwa zehn Jahre später einsetzt.
Auf den ersten Blick mag dieser Verlust der sensorischen Fähigkeiten natürlich furchtbar erscheinen. Man kann sich gut vorstellen, dass das Versiegen der wenigen Informationsquellen des Gehirns nicht nur seine gesamte Funktion ungemein beeinträchtigt, sondern darüber hinaus vielleicht sogar seinen Antrieb. So etwas mag bei den ganz Alten der Fall sein, aber leiden wir Middle-Ager wirklich unter dem Verlust der sensorischen Fähigkeiten? Oder sind Blütezeit, Bordeaux und Bach ab vierzig nicht eher genauso wunderbar wie vorher?
Meines Erachtens gibt es drei Gründe dafür, dass die natürliche Selektion erstens unseren Sinnen im Middle-Age eine graduelle Abnahme erlaubt hat und dass wir das zweitens normalerweise gar nicht bemerken. Der erste Grund ist, dass unser Gehirn nicht jede eingehende Information aufs Penibelste überprüft. Der Großteil aller sinnlichen Eindrücke – das Grundrauschen im Alltag, das vorbeiwehende Herbstlaub, der eigene Körpergeruch – wird noch vor Erreichen des Bewusstseins als irrelevant aussortiert. Und nur Weniges von dem, was dann ins Bewusstsein vordringt, liefert wirklich wertvolle Informationen über die Außenwelt, weshalb auch das schnell wieder vergessen wird. Unser Gehirn ist also ein Meister darin, Informationen zu filtern, weshalb eine geringe Abnahme der Sinnesschärfe uns eher keine Problemebereitet. Der zweite Grund dafür, dass wir einen mittelalterlichen Sinnesverlust nicht bemerken, ist, dass unsere Sinne im Grunde völlig überqualifiziert sind. Unsere Nase kann Substanzen voneinander unterscheiden, die bis auf ein einziges Atom vollkommen identisch sind; unser Auge kann Ansammlungen von zehn Photonen und noch weniger erkennen; unsere Ohr kann Schwingungen wahrnehmen, die nicht größer sind als der Durchmesser eines Atoms. Das sind durchaus faszinierende Fähigkeiten, aber sind sie wirklich noch wichtig, wenn man einmal die Vierzig erreicht hat? Die Frage führt uns zum dritten Grund für einen möglichen Sinnesverlust im Middle-Age: Unsere soziale Lebensform gewährleistet, dass in den seltenen Situationen, die eine derartige Sinnesschärfe erfordern würden, immer eine jüngere Person anwesend ist und uns aushelfen kann. Jäger und Sammler bewegen sich normalerweise in Gruppen von Individuen unterschiedlichen Alters, und der Umstand, dass oft genug die Jungen die Beute als erste hören, heißt noch lange nicht, dass deshalb das Können der Middle-Ager bei der tatsächlichen Erbeutung oder Tötung überflüssig wäre. Und
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