Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
ist es wirklich unbedingt notwendig, sich sein sensorisches Vermögen bis ins Letzte zu erhalten, nur um nicht seine Tochter fragen zu müssen, ob auf einem Stück Obst ein leichte Verfärbung zu erkennen ist? Lassen wir die Jungen unsere Augen und Ohren sein: Das Gehirn des Unternehmens sind nach wie vor die Middle-Ager.
Dass es schwieriger ist, die Veränderungen zu untersuchen, die im Gehirn selbst stattfinden, ist nicht wirklich als überraschend. Das Gehirn arbeitet auf vielen verschiedenen Ebenen, und um sich denen unabhängig voneinander nähern zu können, haben Psychologen über viele Jahre hinweg eine ganze Latte kognitiver Test entwickelt. Die Wissenschaftler streiten sich, ob manche dieser Tests allgemeingültig sind, ob andere wirklich das testen, wassie zu testen behaupten, und ob wir wirklich das testen, was uns an der Sache eigentlich interessiert. Eines ist jedoch klar: Einen einzigen, allumfassenden Test für das menschliche Denkvermögen gibt es nicht, deshalb kann die mittel-alterliche Kognition nur beleuchtet werden, indem man sie in ihre konstituierenden Einzelteile zerlegt.
Prüft man unterschiedliche Aspekte der Kognition, kommt man auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es gibt Tests, denen zufolge wir mit etwa zwanzig den Höhepunkt unserer sensorischen Fähigkeiten erreichen und ab da stetig abbauen. Diese Tests beschäftigen sich aber vor allem mit der Geschwindigkeit des Denkens – Dinge schnell erkennen zu können, schnelle Entscheidungen zu treffen sowie überhaupt alle möglichen Aufgaben unter hohem Zeitdruck zu lösen. Junge Erwachsene reagieren auf Zeitdruck, indem sie einfach schneller denken und dadurch schneller eine Antwort parat haben. Damit haben Middle-Ager durchaus Schwierigkeiten.
Dieser offensichtliche, die Geschwindigkeit kognitiver Prozesse betreffende Verfall beißt sich allerdings ein wenig mit dem, was wir zu einem früheren Zeitpunkt über den Beitrag der Middle-Ager zum Gemeinschaftsleben erfahren haben. Dort konnten wir sehen, dass sie nicht nur Träger kultureller Information sind, sondern zudem in hohem Maß an der Versorgung ihrer Gemeinschaft beteiligt sind. In der freien Wildbahn sind sie als Jäger und Sammler effektiver als ihre jüngeren Kollegen, und in den Städten verdienen sie besser und haben mehr politischen Einfluss. Wie verträgt sich das mit dem Umstand, dass sie langsamer denken?
Tatsächlich können diese unterschiedlichen Erkenntnisse in Einklang gebracht werden, indem wir uns von der Auffassung lösen, reine Geschwindigkeit sei die wichtigste kognitive Komponente. Diese Frage war unter Psychologen lange umstritten, doch mittlerweile tendiert man dazu, der Geschwindigkeit eine allesentscheidende Bedeutung abzusprechen. Wie wir sehen konnten, haben moderne Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften viel Zeit zur Verfügung, und sie genießen es, zu grübeln, zu erzählen und zu debattieren. Zugegebenermaßen erfordern die letzten Augenblicke einer Jagd ein schnelles Denken, wobei ich vermute, dass in dieser Situation dreißig Jahre Erfahrung wertvoller sind als eine rasante Hirnfunktion.
Ist man einmal so weit, dürfte es auch nicht sonderlich überraschen, dass eine ganze Palette kognitiver Tests für die Middle-Ager viel schmeichelhafter ausfallen, etwa die, bei denen es um verbale Ausdrucksfähigkeit, räumliche Wahrnehmung, Mathematik, Argumentieren und Konzeptentwicklung geht. Beschreibt man diese Fähigkeiten anhand einer Kurve, die sich über das individuelle Menschenleben erstreckt, stellen sich die meisten als abgeflachten, an den Kanten abgerundeten Hügel dar – sie nehmen ab zwanzig zu, erreichen im Middle-Age einen langen, gleichmäßigen Spitzenwert und fallen schließlich ab, zunächst langsam, dann immer schneller. Natürlich sehen nicht alle genau gleich aus – Mathematik hat etwa einen frühen Höhepunkt, so um die vierzig, wohingegen die sprachlichen Fähigkeiten meist erst mit sechzig am größten sind. Auffallend ist insgesamt, dass viele untersuchten Fähigkeiten einen nennenswerten Abfall erst ab fünfundsechzig verzeichnen.
Dieser abgeflachte Hügel ist eine wichtige Entdeckung. So wie ich das mitbekomme, machen sich viele Leute Sorgen um ihre kognitiven Fähigkeiten im Middle-Age, und ich vermute mal, dass unsere Ergebnisse zu dreierlei Reaktionen führen können.
Die erste möchte ich als ein Art »Gipfeleuphorie« bezeichnen, und das ist die, die mir im Grunde am nächsten ist. Wir sollten uns einfach glücklich
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