Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Middle-Age weder klüger noch dümmer, doch insgeheim verändern wir die geistigen Mittel, mit denen wir dieselben Resultate erzielen. Diese Raffiniertheit ist vermutlich schuld daran, dass bis vor kurzem die kognitiven Vorgänge dieser Altersperiode kein Forschungsgegenstand waren – im Gegensatz zu den heftigen zerebralen Veränderungen in Kindheit, Pubertät oder Greisenalter können die des Middle-Age bei oberflächlichem Hinsehen durchaus unbedeutend wirken. Was aber, wie wir bald sehen werden, keineswegs der Fall ist.
Fangen wir mit den Sinnen an. Jegliche Information, die das mittel-alterliche Gehirn erhält, kommt über die Sinnesorgane; es gibt schlicht und einfach keine anderen Reize. Hier zu beginnen, hat also Vorteile, denn die Sinne sind leichter zu untersuchen als andere Bereiche der Gehirntätigkeit – man setzt einfach irgendwelche Leute irgendwelchen Reizen aus und fragt dann entweder, was sie wahrnehmen, oder beobachtet, wie sie reagieren.
Der Mensch ist viel visueller orientiert als jedes andere Säugetier, was mit seiner ursprünglichen Lebensform zusammenhängt: Er ist vom Tageslicht abhängig und auf die Inspektion von Früchten sowie das Ausspähen von Beute angewiesen. Deshalb nehmen wir eine Abnahme der Sehkraft am stärksten wahr. Mit vierzig habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass ich Dinge direkt vor meinen Augen nicht mehr scharf sehen konnte – und das kam schlagartig, als ich auf der Rückseite meines Computers ein Kabel anschließen wollte. Mit das Erschreckendste an dieser plötzlichen Weitsichtigkeit war, dass ich es eben nicht mit einem langsamen Verfallsprozess zu tun hatte, sondern eher mit etwas, das ganz offenbar so sein »musste« – das irgendwie darauf angelegt oder programmiert war, sich innerhalb eines kurzen Zeitraums auszubilden. Tatsächlich hat diese sogenannte Presbyopie oder Altersweitsichtigkeitalle Merkmale eines kontrollierten Entwicklungsprozesses: Mit fünfunddreißig ist sie selten, mit fünfzig hat sie jeder. Und die Schlagartigkeit ihres Auftretens war für mich einer der Anstöße, dieses Buch zu schreiben.
Unsere Fähigkeit zu akkommodieren – also die Schärfe zu verändern, um in die Nähe oder die Ferne sehen zu können – hat ihren Höhepunkt im Alter von acht Jahren. Meine achtjährige Tochter hält mir in schöner Regelmäßigkeit ihre Zeichnungen vor die Nase und ist immer wieder bass erstaunt, wenn ich sie auf Armlänge von mir wegschiebe, um überhaupt erkennen zu können, was ich da vor mir habe. Wir akkomodieren, indem wir die Form der Linse verändern, die in der Mitte des Augapfels schwebt. Die Linse wiederum ist ein höchst kompliziertes Kugelgebilde, das aus durchsichtigen lebenden Zellen besteht und sich im Lauf der Zeit verändert. Im Gegensatz zu künstlichen Linsen ist in der unsrigen die Stärke der Lichtbrechung nicht überall gleich. Im Middle-Age degenerieren, verklumpen und erstarren die Kristallin-Proteine im Zentrum der Linse, wo das Licht eigentlich am stärksten gebrochen wird – und diese Veränderung findet unabhängig davon statt, wie gut oder schlecht unser Sehvermögen vorher war. Diese Protein-Degeneration wird durch Hitze beschleunigt, was erklärt, warum Presbyopie in den wärmeren Regionen der Erde früher auftritt. Das Innere der Linse verliert an Biegsamkeit und kann deshalb nicht mehr so leicht gekrümmt werden wie früher, und diese Starre dehnt sich dann bis in die äußeren Bereiche der Linse aus. Diese Entwicklung ist im Verbund mit einer Umformung der Fasern, an denen die Linse im Auge befestigt ist – der sogenannten »Zonula ciliaris« –, die Erklärung dafür, warum wir alle eine Brille brauchen, sobald wir das, was wir lesen wollen, weiter von uns entfernen müssten als nur eine Armlänge.
Beim Hören sieht es ein klein wenig besser aus, denn nur etwa 35% haben mit fünfundsechzig nennenswerte Probleme – wobeinatürlich bereits ab der Kindheit unsere Fähigkeit, hohe Frequenzen zu wahrzunehmen, nach und nach abnimmt. Diese sogenannte Presbyakusis oder Altersschwerhörigkeit ist also genau genommen kein Phänomen des mittleren Alters, wobei sich das Gehör im Middle-Age durchaus verändert. Am Gravierendsten dürfte das graduelle Versagen der schallempfindlichen Haarzellen im Innenohr, der Gehörschnecke, sein, aber der Degeneration unterworfen sind auch Trommelfell, Gehörnerv und die für die Schallverarbeitung zuständigen Hirnregionen. Ein gewisses Maß an Hörverlust ist im
Weitere Kostenlose Bücher