Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Tieres kann daran gemessen werden, wie sehr es seine Lebenswelt kontrolliert – wie gut es Schmerzen und Zwänge vermeiden beziehungsweise Nahrung beschaffen und für Schutz sorgen kann. Nach Meinung der Psychologen trifft das im Grunde auch auf uns Menschen zu. Wir alle wissen, dass wir einiges in unserem Leben selbst bestimmen können, anderes hingegen nicht – und verrückterweise scheint es nur darum zu gehen, wie weit wir glauben , das Geschehen um uns herum im Griff zu haben. Eine solche Art der Kontrolle teilt die Menschen in zwei Gruppen – einerseits die, die der Meinung sind, alles, aber auch wirklich alles sei potenziell kontrollierbar, andererseits die, die auf das, was das Leben ihnen vorsetzt, nur hilflos reagieren zu können glauben. Wir scheinen unsere Gruppenzugehörigkeit in der Jugend zu entwickeln und sind dabei vermutlich sowohl von genetischer Veranlagung als auch bereits gemachten Erfahrungen abhängig. Wenn wir das Middle-Age erreichen, sind noch ein paar Erfahrungen dazugekommen, undunser Kontrollbewusstsein ist fest in unserer Persönlichkeit verankert.
Das Ausmaß unserer Überzeugung, unsere Umwelt unter Kontrolle zu haben, entscheidet über unser generelles Wohlbefinden. Menschen, die sich im Kontrollbesitz glauben, sind für gewöhnlich aufstiegsorientierter, motivierter, mutiger, konfliktbereiter, körperlich fitter und – wen wundert’s? – glücklicher. Zu glauben, dass man die Gestaltung der eigenen Zukunft komplett in der Hand hat, kann einen durchaus unter Druck setzen und auf Dauer ziemlich ermüden – nicht zuletzt kann das auch völlig falsch sein –, doch scheint sich ein blindes Vertrauen in das eigene Können extrem positiv auszuwirken. Wer sich fühlt, als hätte er die Dinge in der Hand, sorgt beispielsweise für eine hohe Konzentration von bestimmten Transmitterstoffen im Blut, die sich wiederum positiv auf Stimmung und Gesundheit auswirken. Und das Schöne dabei ist, dass Studien dieses »Kontrollgefühls« seine stärkste Ausprägung im Middle-Age verzeichnen. Ähnlich wie in Kapitel 7 erkennen wir auch hier einen breiten, flachen Hügel, von dem die Middle-Ager auf die Jüngeren und die Älteren mitleidig herabsehen können. Im Gegensatz zu den Letztgenannten sagen Middle-Ager meist, die wichtigsten Dinge im Leben seien für sie ihre Arbeit und die Versorgung ihrer Nächsten, und es sieht auch so aus, als würden sie diese Dinge gleichzeitig für am besten kontrollierbar halten. Hier scheint sogar eine positive Dynamik zu existieren: Man ist heute davon überzeugt, dass eine starkes Kontrollgefühl Erfolg bei der Arbeit und eine erfüllte Elternschaft mit sich bringt, was wiederum dazu führt, dass wir uns vermehrt im Besitz von Kontrolle wähnen.
Unser Kontrollgefühl ist im Middle-Age aber keine hundertprozentig makellose Angelegenheit. Dass die Durchschnittswerte bei Psychotests insgesamt höher sind, heißt nämlich nicht automatisch, dass jeder einzelne Middle-Ager glaubt, er sei Herrscherüber das Universum beziehungsweise über das eigene Schicksal. Auf jeden, der glaubt, die Welt höre auf sein Kommando, kommt einer, der das Leben für chaotisch und unüberschaubar hält. Büroangestellte haben zum Beispiel eher das Gefühl einer Kontrolle als Maschinenarbeiter. Höhere Bildung scheint sich auch positiv auszuwirken. Eine Frau hingegen lebt eher in dem Gefühl, als würde die Welt »ihr passieren« – und nicht etwa umgekehrt sie der Welt. Dabei sehen Frauen den Umgang mit anderen Menschen als den Bereich, der am meisten ihrer Kontrolle unterliegt. Männer hingegen sehen ihre größte Stärke tendenziell darin, »Dinge« zu kontrollieren – Gegenstände, Geld oder abstrakte Gebilde. Solche Einschätzungen spiegeln vielleicht auch einfach die bittere Wahrheit. Denn es kann ja durchaus sein, dass ein mittelalterlicher Fließbandarbeiter sich nicht im Kontrollbesitz fühlt, weil er in einer Welt aufgewachsen ist, in der das genau so ist . Man kann sich übrigens auch mal fragen, wie das bei Frauen ist: Sind sie darauf programmiert, sich schwächer zu fühlen, oder beruht ihr Gefühl auf Erfahrung?
Eine unserer wichtigsten Kontrollmöglichkeiten ist das Vermögen, unsere Einzigartigkeit und Besonderheit – unsere Identität – zu regulieren und zu steuern. Jeder von uns ist im Besitz einer Identität – der Summe dessen, was wir von uns halten und wo wir in der Gesellschaft stehen –, und Psychologen glauben nicht, dass diese
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