Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
auftreten oder nicht. Bei einer Untersuchung in Großbritannien wurden Dreiundvierzigjährige gefragt, wie sie die Behandlung durch die eigenen Eltern einstufen würden, ob als »fürsorglich«, »beherrschend« oder »gleichgültig«. Ein späterer Vergleich dieser Ergebnisse mit der psychischen Verfassung der Testpersonen (mittlerweile zweiundfünfzig) ergab, dass diejenigen mit »fürsorglichen« Eltern bei Weitem besser beieinander waren als die mit »beherrschenden« und »gleichgültigen«. Depressionen treten auch doppelt so häufig auf, wenn Menschen in der Kindheit sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt wurden. In jungen Jahren eine gute Ausbildung genossen zu haben, scheint vor mittel-alterlicher Depression auchgut zu schützen. Bei all dem muss man allerdings vorsichtig sein – denn oft ist unklar, was Ursache ist und was Wirkung. Bezeichnen Menschen beispielsweise die Eltern nicht als »fürsorglich«, weil sie depressiv sind? Und ist es vielleicht einfacher, die Ausbildung fortzusetzen, wenn man keine psychischen Probleme hat? Und welchen anderweitigen psychischen Ballast tragen missbrauchte Menschen möglicherweise mit sich, wenn sie das Middle-Age erreichen?
Ein bezahltes Arbeitsverhältnis steht so stark in Verbindung mit psychischer Gesundheit, dass man versucht ist, hier geradezu von einem wirksamen Schutz zu reden. Die Kehrseite der Medaille ist, dass rein statistisch gesehen Hausfrauen etwa genauso oft in Depressionen verfallen wie Arbeitslose. Über alle Altersstufen hinweg ist der positive Effekt eines Arbeitsverhältnisses bei Männern größer als bei Frauen, was erneut ein interessantes Licht auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wirft. Die Gesamtsumme der Beschäftigten ist bei Männern im dritten Lebensjahrzehnt am höchsten und nimmt dann langsam ab – was nun nichts anderes bedeutet, als dass Middle-Ager weniger Depressionen haben, obwohl immer weniger von ihnen arbeiten. Frauen hingegen bleiben in jungen Jahren eher daheim, um die Kinder zu versorgen, und haben die höchste Beschäftigungsrate mit vierzig, wenn die Kinder erwachsen sind; dann erst drängen sie auf den Arbeitsmarkt. Eine höhere Beschäftigung kann hier also tatsächlich dazu beitragen , dass Middle-Ager-Frauen weniger unter einer Depression leiden.
Nach Ansicht einiger Psychologen ist die entscheidende Komponente einer mittel-alterlichen Depression, wo der Mensch sich innerhalb der sozialen Hierarchie befindet. Die soziale Stellung (der »Stand« oder »Rang«) ist demnach das, was über allem liegt und sich in den einzelnen Zusammenhängen (Ehe, elterliche Fürsorge, Ausbildung und Beschäftigung) niederschlägt. Genau wieandere sozial veranlagte Tierarten – etwa Rothirsche, Schimpansen oder Sandgräber (eine Nagetierart) – organisieren sich auch Gruppen von Menschen in sozialen Hierarchien. Dieser Prozess setzt in den frühen Teenagerjahren ein, und die Hierarchien verändern sich mit dem Middle-Age meist ebenso wenig wie die Kriterien, durch die sie entstanden sind – Schönheit, Gesundheit, Wohlstand, Beschäftigung und Intelligenz. Etwa mit Beginn der Adoleszenz fangen menschliche Gemeinschaften ernsthaft damit an, zwei verschiedene Rangordnungen zu errichten – eine für Männer, eine für Frauen –, und wenngleich der oder die Einzelne innerhalb der Ordnung auf- oder absteigen kann, ist ein Entkommen schlichtweg unmöglich. Insbesondere der Status der Frauen kann mit dem Middle-Age in Gefahr geraten, denn anscheinend hängt deren soziale Dominanz viel stärker von ihrer Attraktivität ab, als das bei Männern der Fall ist. So kann es also vorkommen, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem Männer durch Wohlstands- und Machtzunahme aufsteigen, Frauen aufgrund ihrer zunehmenden Falten genau in die entgegengesetzte Richtung gedrängt werden. Wir wissen, dass jeder Mensch es als unangenehm empfindet, sich in einem unteren sozialen Bereich durchschlagen zu müssen. Dies hat Parallelen im Tierreich, denn hier treten in einem solchen Fall deutliche Anzeichen von Stress auf, etwa abnormes Individualverhalten, destruktiver sozialer Umgang und schlechter Gesundheitszustand. Daraus hat man gefolgert, dass psychische Störungen die speziell »menschliche« Manifestation eines Problems sein könnten, das bei niedrigem Rang bei sämtlichen sozial veranlagten Tierarten vorkommt. Und das Zitat zu Beginn des Kapitels belegt, dass Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Niederlage, Ausweglosigkeit und des
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