Wir müssen leider draußen bleiben
Gefängnis stecken!« sagt Ab dul Malik voller Verzweiflung. »Dort ginge es uns sicher besser als hier.«
Ein alter Mann, Habibur Rahman, der wie viele Muslime hier sein graues Haar und den Bart mit Henna rot gefärbt hat, sagt aufgebracht: »Als nach Sidr die NGO s zu uns kamen, waren wir erleichtert. Wir dachten, endlich kommt Hilfe! Aber anstatt uns zu helfen, wollten sie nur unser Geld!« Habibur Rahman zeigt auf seine Hütte, einen Holzverschlag, verhängt mit leeren Reissäcken, die kaum vor Wind und Wetter schützen. Auf dem Hügel, auf dem einst die Hütten standen, befinden sich auch vier Jahren nach Sidr solche Notunterkünfte aus Planen, Blechresten und Pappe. Die meisten Leute hier, erklärt er, haben ihre Häuser nicht mehr aufgebaut, weil sie das Geld, das sie dafür von der Regierung erhalten hatten, zum Abbau von Schulden verwendet hätten.
Action Aid bestätigt das. Sie ist eine der wenigen internationalen NGO s in Bangladesch, die konsequent keine Mikrokredite vergeben und sich dagegen aussprechen. Ein Jahr nach der Katastrophe hat Action Aid zwölf Regionen im Süden und Südwesten untersucht, die von Sidr besonders betroffen waren. Dort lebten damals 1,5 Millionen Kreditnehmerinnen mit einem Schuldenberg von umgerechnet insgesamt 116, 8 Millionen Euro bei 42 Mikrokreditorgansiationen. »Sidr-Opfer, die fast alles verloren hatten, wurden von NGO s schikaniert, damit sie ihre Mikrokreditraten zurückzahlen. Der immense Druck brachte manche der Schuldner dazu, das Hilfsmaterial zu verkaufen, das aus unterschiedlichen Quellen stammte. Der Rückzahlungsdruck kam von großen Organisationen wie BRAC , ASA und sogar vom Friedensnobelpreisträger, der Grameen Bank. Selbst von den am schlimmsten Betroffenen wurde erwartet, dass sie wöchentlich zurückzahlen – mit den vereinbarten Zinsen«, heißt es in dem Bericht. 510 Darüber hinaus fand Action Aid heraus, dass viele dazu gezwungen waren, die Entschädigungssumme von 5 000 Taka, die die Regierung zum Aufbau der Häuser gewährte, dazu zu verwenden, die Kredite zurückzuzahlen. Viele hätten dafür abermals neue Kredite von den NGO s bekommen, um andere Kredite zu bezahlen. Die Frauen seien systematisch von den Geldeintreibern drangsaliert worden, so dass sie alles, was ihnen noch geblieben war, verkauften, um den Kredit zurückzuzahlen.
Von der Wall Street zur Blechhütte
Vor meiner Reise in den Süden hatte ich Anu Muhammad besucht. Er lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Jahangirnagar Universtät in Savar, eine Stunde nordwestlich von Dhaka, wo auch die Textilfabrik von Muhammad Yunus steht. Der Campus ist traumschön, zwischen Palmen und exotischen Bäumen leuchten pinkfarbene Seerosen auf den vielen kleinen und großen Seen. An manchen Stellen befinden sich Revolutionsdenkmäler. Die Universität wurde 1971 aus roten Backsteinen erbaut, kurz nach dem Befreiungskrieg. Grün und Rot sind die Farben der bangladeschischen Flagge, sie stehen für fruchtbares Land und die aufgehende Sonne, den Neubeginn. Anu Muhammad ist ein freundlicher Mann mit Brille und ein großer Kritiker der neoliberalen Globalisierung, dementsprechend auch von Muhammad Yunus und Mikrokrediten. Dieser Säulenheilige der Wirtschaftswelt sei ein ganz normaler Geschäftsmann. »Was er kann, ist, schön über Armut zu reden. Er hat die Gabe, mit oft unhaltbaren Behauptungen Vertrauen zu gewinnen.«
Anu setzt sich außerdem gegen den offenen Kohleabbau in Phulbari in der »Bewegung gegen den Ausverkauf der Bodenschätze« ein. Durch den Abbau der Kohle, die nicht im Land bleibt, sondern exportiert wird, würden 100 000 Menschen ihre Bleibe verlieren. Bei einer großen Demonstration in Dhaka wurde Anu von Polizisten krankenhausreif geprügelt. 511 Einen Monat lang saß er im Rollstuhl, 2008 wurde er sogar mit dem Tod bedroht, sollte er weiter öffentlich auftreten und unterrichten.
Auch Anu hat Erfahrungen mit Zensurversuchen durch die Grameen Bank gemacht. Als er in der bangladeschischen Tageszeitung Meghbarta einen kritischen Artikel über Mikrokredite schrieb, schaltete sich die Grameen Bank ein und forderte eine Diskussion: sie würden eine Gegendarstellung schreiben, darauf dürfe Anu antworten. Doch nach deren Abdruck nötigte die Grameen Bank den Chefredakteur, sich zu entschuldigen, andernfalls verlöre er seinen Job. 512 Anu selbst durfte auf den Text der Grameen Bank nicht reagieren. »Das Grameen-Imperium hat großen Einfluss auf die Medien des Landes«, sagt Anu.
Weitere Kostenlose Bücher