Wir müssen leider draußen bleiben
deshalb nicht mehr, weil viele dazu gezwungen wurden, ihr Land zu verkaufen. Jetzt müssen sie für alles bezahlen. Menschen, die keine Gelegenheit haben, zu ihrem Eigenbedarf Gemüse und Reis anzupflanzen und Tiere zu halten, sind zwingend, mindestens die Hälfte ihres spärlichen Einkommens für Essen ausgeben. Und das in einem Land, in dem sich die Preise für Lebensmittel über Nacht verdoppeln können. Muhammad Yunus hat wohl nichts dagegen, dass das Wirtschaftswachstum in Bangladesch zu einem »schrittweisen Rückgang der Subsistenzwirtschaft« geführt hat. »Im Jahr 2005 löste die Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft die landwirtschaftliche Beschäftigung als wichtigste Einkommensquelle in den ländlichen Gebieten ab, und fünfzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden mittlerweile im Dienstleistungssektor erwirtschaftet, schreibt er anerkennend.« 520
Badrul, Mannan, Shipra und ich haben uns in eine Mofa-Rikscha gequetscht, wir fahren in eines der ungezählten Shanti in Dhaka. Das ist so etwas wie die Reihenhaussiedlung der Slums, eine gemauerte Vorstufe zum absoluten Elend. Die verkommene Siedlung liegt direkt an einem Arm des Buringanga-Flusses. Das schwarze Wasser verbreitet einen unerträglichen Gestank, der einem die Tränen in die Augen treibt: eine Mischung aus Gift, Fäulnis, Verwesung und Scheiße. Tausende Tonnen Müll produziert die Stadt jeden Tag, das meiste davon landet im Fluss. Dazu Tierleichen, Öl vom Hafen, Gift aus Gerbereien, chemische Abfälle aus der Industrie, Abwasser und Krankenhausmüll. An den Ufern spielen Kinder in einem Müllberg, der nach und nach ins Wasser rutscht. Ein paar Kühe sind an Pflöcke gebunden. Sie wühlen dort, wo kein Halm Gras wächst, im Abfall nach Futter, ein paar Meter weiter liegt ein aufgeblähter toter Straßenhund zwischen Plastikplanen. Auf dem Wasser warten Dutzende Fährmänner mit ihren Holzgondeln auf Kundschaft. Es gibt hier keine Brücke zum anderen Ufer, zur Innenstadt, zur Arbeit.
Durch einen düsteren, schmutzigen Betongang kommen wir zu den Wohneinheiten. Das heißt: zu 16 winzigen Zimmern, die von mehr als 120 Menschen bewohnt werden. Sie müssen sich zwei Toiletten und sechs Küchen teilen. Hier und in den Slums landen die Menschen, die vom Land in die Stadt fliehen: die Landlosen, die Schuldner, die immer mehr werdenden Klima-Flüchtlinge, die Verlierer des Existenzkampfs. Nach offiziellen Angaben strömen jeden Tag mindestens 2 000 neue Menschen in die Mega-City mit ihren 17 Millionen Einwohnern. Die Armen leben hier unter noch verheerendere Bedingung als auf dem Land: oftmals auf der Straße, in Verschlägen oder unter Plastikfolien. Sie können auf kein soziales Netz zurückgreifen, wehrlos sind sie der Gewalt und den Diebstählen von kriminellen Banden ausgeliefert, auch Vergewaltigungen sind nicht selten.
In einem vielleicht zehn Quadratmeter großen Raum, den sich acht Leute teilen, sitzen wir auf dem Bett. Gerade ist der Strom ausgefallen, das passiert hier mehrmals am Tag. Der Ventilator hört auf, sich zu drehen, und der Raum füllt sich mit Hitze und dem unerträglichen Gestank vom Fluss.
»Das Leben hier ist nicht gut. Das Essen und das Wasser sind schlecht«, sagt Sherina. Vor 15 Jahren ist sie aus dem Süden hier her gekommen. Damals besaßen sie Haus und Land in Madaripur am Fluss Padma zwischen Dhaka und Barisal. Doch der Fluss, der durch die Landerosion immer größer, stärker und unberechenbarer geworden ist, hat ihnen ihren Besitz geraubt. In Dhaka hat Sherina einen Kredit bei BRAC aufgenommen, damit ihr Mann ein Boot bauen und als Fährmann arbeiten konnte. Doch ihr Mann wurde schwer krank, für die Behandlung musste sie einen weiteren Kredit aufnehmen. Jetzt stehen sie haarwurzeltief in der Kreide, und wissen nicht, wie sie jemals das Geld zurückzahlen sollen. Die Konkurrenz unter den Fährmännern ist groß, die Verdienstmöglichkeiten gering, schließlich sind nur die Armen auf die Boote angewiesen. Von frühmorgens bis spät in die Nacht bringt ihr Mann die Menschen über das giftige Wasser und verdient trotzdem nur 2 000 Taka am Tag. »Erst muss der Kredit bezahlt werden, dann können wir an Essen denken«, sagt Sherina; der Hunger ist ihr steter Begleiter. Die Bewohner nennen die Siedlung Piloterbari, angeblich gehört sie einem reichen Piloten. Und der lange kräftig zu bei den Armen: 2 000 Taka sei die monatliche Miete für eine Baracke, sie steige ständig. Sherina sagt leise: »Wir wohnen
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