Wir müssen leider draußen bleiben
Verbindung zwischen Norden und Süden und die Hauptroute der Landflüchtlinge in die Stadt. Noch dazu treiben auf dem Fluss, der stellenweise so breit ist, dass man kein Ufer sieht, Piraten ihr Unwesen.
Im stinkenden Wasser des Hafen Saddarghat in Dhaka liegt unser Schiff, die beiden Decks sind zum Bersten voll . Wir haben zum Glück noch zwei der wenigen Kabinen reservieren können: das Schiff fährt die ganze Nacht. Bei Sonnenaufgang empfängt uns die schwüle Hitze von Barisal, der Hafenstadt unweit der Küste des Golfs von Bengalen. Der Bauernführer von Barisal, Harun Bhandari, holt uns ab und führt uns stolz in sein Haus. Während wir auf unseren Fahrer warten, der uns in die Dörfer bringt, zeigt der Harun Bhandari Badrul ein dickes, gebundenes Buch voller Artikel über die Krishok Federation, die er sammelt, aber selbst nicht lesen kann. Knapp die Hälfte der Bangladeschi sind Analphabeten, bei den Frauen sind es so gar drei Viertel. Trotzdem sind viele von ihnen politisch aktiv. Im Haus hat der Aktivist eine Ecke mit Bildern von Demonstrationen der Krishok Federation tapeziert, an der blaugrünlichen Wand daneben hängen Fotos von Marx und Che Guevara. Sie verraten, dass die Menschen hier sich etwas ganz anderes wünschen als Schulden und Unternehmertum. Nämlich Solidarität, Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Menschen.
Am Nachmittag schließlich sitzen wir im Dorf Betmore-Satkar mit Sobita und anderen Frauen auf der Veranda eines hellblau getünchten Holzhauses. Als sie von einem riesigen Krach aus dem Schlaf gerissen wurden, erzählt Sobita, blickten sie erschrocken in den nachtschwarzen Himmel. Der Zyklon Sidr hatte das Dach der Hütte weggerissen; sie gingen nach draußen, da stand ihnen das Wasser bereits bis zur Hüfte. Panisch schwammen sie durch die Stockfinsternis zu den Hügeln. Am Tag darauf ging das Wasser so schnell zurück, wie es gekommen war, und die Menschen kehrten in ihr Dorf zurück. Aber da war nichts mehr. Ihre Häuser waren komplett zerstört, ihr Besitz weggeschwemmt, die Felder verwüstet; sechs Tote hat te es in ihrem Dorf gegeben, manche fand man erst nach Tagen. »Wir haben drei Tage geweint und acht Tage gehungert, bis endlich Hilfe eintraf«, erinnert sich Sobita, und ihre Nachbarn schauen still zu Boden. Der Albtraum hat ihr Leben von Grund auf verändert, und er ist längst noch nicht zu Ende. Denn nach Reis und Nothilfe von der Regierung kamen abermals die Banken zu den Menschen, sprich: die Geldeintreiber der NGO s und der Grameen Bank zu den Armen in den Trümmern. Als wäre nichts gewesen, forderten sie fällige Raten plus Zinsen. So sei die Nothilfe der Regierung schon verbraucht gewesen, bevor die Menschen ihre Häuser wieder aufbauen konnten. Vor dem Sturm, der hier im Süden die Zeit in ein davor und danach teilte, hatten die meisten hier einen Kleinkredit aufgenommen. Sobita etwa hatte sich 10 000 Taka bei der Grameen Bank geliehen. Sie bat um Stundung, doch die wurde ihr nicht gewährt. Auch die Dorfoberen versuchten, auf NGO s und Banken einzuwirken, damit sie ihnen die Schulden erließen. Sie hofften, dass die Regierung dem Geldeintreiben wenigstens jetzt ein Ende setze. Statt dessen stellte sich Muhammad Yunus vor die Welt und warb für Verständnis dafür, dass man auf keinen Fall auf die Rückzahlung der Kredite verzichten könne: »Die Grameen Bank hat in den 31 Jahren ihre Existenz schon mehrere Naturkatastrophen miterlebt. Aber wenn wir jetzt die Schulden streichen, dann wollen die Leute jedes Mal die Schulden erlassen bekommen, wenn ein Haus gebrannt hat oder sonst etwas passiert ist.« 508 Und es passiert eine Menge in Bangladesh. Stattdessen versprach Yunus großzügig, die Kredite drei Monate zu stunden und neue Kredite zu günstigen Konditionen zu vergeben.
Sobita hat dann auch weitere Kredite bei Asa und der Gra meen Bank aufgenommen. Sie sagt, sie hätte keine andere Wahl gehabt. Viele Menschen hier seien landlos geworden, entweder, weil die Welle Müll und giftigen Schlamm auf die Felder trug, oder weil sie, um die Schulden bezahlen zu können, ihr Land verkaufen mussten. Manche Familien hätten sich tagelang vor den Geldeintreibern im Wald versteckt, bis sie schließlich nicht mehr konnten. Balu, der Hausherr, sagt: »Es dreht sich hier alles nur noch darum, genug zu essen und Geld für die Kredite zu haben.« Seinen beiden Kindern könne er keine Schule und kein Schulmaterial mehr bezahlen.
Zwischen den Bäumen leuchtet ein grün
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