Wir müssen leider draußen bleiben
angemaltes Schild, darauf ist das Zeichen von BRAC und der Europäischen Union zu sehen. Als »Aufbauhilfe« verbrämt habe man den Bauern, die mit ihren Häusern auch das Saatgut verloren hatten, Samen geschenkt, erzählt Balu – aber nicht irgend welche, sondern gentechnisch veränderte, die nur eine Saison lang tragen. Denn im Namen der Armutsbekämpfung drängen auch Saatgutkonzerne wie Syngenta und Cargill in das Land: Mikrokredite werden auch vergeben, um sich Saatgut zu kaufen. »Aber die Ernte war nicht zu gebrauchen, ein totaler Ausfall«, schimpft Balu. Als er sich bei BRAC beschwerte, erntete er nur Ausreden: Der Lieferant sei schuld gewesen. Jetzt aber müsse er das Saatgut jedes Jahr wieder kaufen, dazu Dünger und Herbizide; BRAC , sagt Balu, mache das zur Bedingung für weitere Kredite. Hier zeigt die ökonomische Weltrettung ihre wahres Gesicht: die ganze Brutalität der Globalisierung auf nicht einmal einem Hektar Welt. Man möchte schreien.
Über eine endlose, schlaglochübersäte Lehmpiste fahren wir nach Kalipur, in das Dorf, in dem Shipra geboren ist. Ihr Mutter und ihr Bruder leben noch immer hier. Als sie in Dhaka von den Verwüstungen durch den Zyklon erfahren habe, sei Shipra sofort aufgebrochen. Drei Tage reiste sie mit dem Schiff und dem Bus und legte die letzten Kilometer zu Fuß zurück, ohne zu wissen, ob ihre Familie noch am Leben ist. Als sie endlich das Dorf erreichte, war ihre Mutter Shoibalini Devi derart traumatisiert, dass sie ihre eigene Tochter nicht wiedererkannte. Sie hatte den Sturm und die Überschwemmung nur überlebt, indem sie sich stundenlang an einen Baum geklammert hatte. Shipras Mutter verlor in diesem Sturm alles, jetzt wohnt sie in einer provisorischen Bambushütte. An der Stelle, wo einst das Haus stand, ist jetzt nur noch ein Lehmhügel. Bis heute hätten sie es sich nicht leisten können, ein neues Haus zu bauen.
Unter einem Segel aus Palmblättern gibt es Mittagessen, Enteneier in scharfer Soße. Währenddessen sammeln sich unter dem schattigen Dach die Nachbarn. Auch sie haben damals alles durch Sturm und Schulden verloren. Eine Frau, sie heißt Rubala, erzählt, sie habe einen Kredit bei der Grameen Bank; sie könne nachts nicht mehr schlafen, denn fast jeden Tag stünden Geldeintreiber vor ihrer Tür. Sie hatte gehofft, ihr Sohn fände Arbeit, doch er sei herzkrank geworden, so dass er nicht mehr arbeiten könne. Nun muss sie auf dem Feld schuften, und das Geld, das sie erwirtschaftet, reicht nur für das Allernötigste.
Viele Familien seien nach Dhaka oder nach Chittagong geflohen, letztere ist die zweitgrößte Stadt des Landes, um Arbeit zu finden; manche, vermutet Rubala, hätten dort allenfalls als Bettler eine Chance.
Eine andere Frau, Kolpona Rani, berichtet, sie hätten es vorher ja recht gut gehabt. Auf ihrem Stück Land hätten sie Betelnussbäume angebaut. Doch dann seien erst BRAC , dann ASA und die Grameen Bank gekom men und hätten ihnen Kredite angeboten. Kolpona Rani sagt, sie bereue es bitter, sich darauf eingelassen zu haben. Heute belaufen sich ihre Schulden auf 200 000 Taka, das sind umgerechnet 2 000 Euro, eine astronomische Summe in Bangladesch. Über Nacht ist ihr Mann abgehauen, vier Monate blieb er verschwunden und versteckte sich vor den Geldeintreibern. Nach seiner Rück kehr verkaufte er das letzte Stückchen Grundbesitz, jetzt müssen sie sich als Tagelöhner bei den neuen Besitzern verdingen. Kolpana Rani sagt, sie wollten nach Indien fliehen. Als Hindus hätten sie dort vielleicht eine Chance. Ein gefährlicher, ja todesmutiger Plan: Die Grenze zwischen Indien und Bangladesch ist streng bewacht, ein zwei Meter hoher Zaun, teils unter Strom und mit Stacheldraht bewehrt, trennt die beiden Staatsgebiete voneinander. 50 000 indische Soldaten bewachen den Todesstreifen. Laut der bangladeschischen Men schenrechtsorganisation Odhikar sind von Januar 2000 bis Juni 2011 allein 976 Bangladescher an der Grenze getötet worden. 990 weitere Menschen wurden verletzt, 226 Flücht linge wurden festgenommen, 14 Frauen vergewaltigt. 184 Men schen werden bis heute vermisst. 509
Abdul Karim Muhamad Siliu erzählt, auch er sei mit seiner Frau nach Chittagong geflohen. Sie stünden bei sechs Kreditorganisationen in der Kreide, darunter Grameen Bank, ASA und BRAC . In der Stadt habe er auf dem Bau geschuftet, bis die Geldeintreiber ihn schließlich aufgespürt hätten. Die Beamten hätten seine Brüder so lange terrorisiert, bis diese sein
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