Wir müssen leider draußen bleiben
Versteck preisgaben. Jetzt sei die Familie zerstritten. »Es gibt überall in den Familien Krach«, sagt Abdul und fügt wütend an: »Wir haben denen doch schon so viel Geld gegeben, es ist genug jetzt!« Ein wütendes Murmeln pflichtet ihm bei.
Kurz darauf taucht ein jüngerer Mann auf, der in dieser Gegend befremdlich westlich wirkt, und setzt sich zu uns. Augenblicklich verstummen die Dorfbewohner und schauen zu Boden. Der Mann stellt sich als John vor und möchte gern wissen, was hier vor sich geht. Badrul und Shipra sehen sich fragend an, sie geben dem Fremden nur knapp Antwort. Schließlich verzieht sich John wieder, hasserfüllte Blicke folgen ihm. Wer war das? frage ich. John, so erklärt Shipra, habe einmal anders geheißen. Doch es gebe eine katholische Mission unweit von hier, sagen sie. Die würde die Menschen mit dem Versprechen locken, dass sie ihnen aus der Armut helfen, wenn sie sich taufen ließen. Das habe der Mann, der jetzt John heißt, gemacht. Seither, sagen sie, würde er mit Geld unterstützt. Mit diesem Geld kauft John vielen Bauern, die durch Kredite in Not geraten waren, ihr Land ab. Es ist schwer, diese Geschichte zu überprüfen. Selbst wenn die Dorfbewohner in ihrem unübersehbaren Unmut vielleicht übertrieben haben – schließlich arbeiten sie jetzt für ihn auf den Feldern, die einmal ihnen gehörten – so zeugt sie dennoch davon, wie sehr die Kredite die dörfliche Gemeinschaft zerstören.
Nothilfe als Kreditrate
Zurück in Barisal, begegne ich zum ersten Mal zwei Frauen, die von Mikrokrediten profitiert haben. Wir laufen durch ein Handwerkerviertel der Stadt, Holz liegt in riesigen Haufen hinter den Hütten. Hier werden Möbel von Hand hergestellt. Über eine Brücke kommen wir in ein Hüttenviertel. Kinder springen von der Brücke ins Wasser, sie halten sich an den Schiffen fest und lassen sich lachend mitziehen. In der Hütte, die wir besuchen, stehen ein Fernseher und ein Kühlschrank, die Vitrine ist voll von hübschem Geschirr. Das gehört Niru Begum; sie ist sichtlich stolz. Ihr Mann arbeitet als Konstrukteur auf Baustellen und verdient nicht schlecht. Niru Begum hat Geld von der Grameen Bank geliehen, doch in ihrer Gruppe hätten es bis jetzt nur fünf Frauen geschafft, das Geld zurückzuzahlen. Ich frage sie, woran das liegen könnte. Sie ant wortet: »Keine Ahnung, die haben sich eben Zeug davon gekauft und nicht investiert. Die sind selber schuld. Aber solche Leute werden das eben nie schaffen.« Und was würde sie ihnen raten? Niru Begum: »Wenn sie nicht zahlen können, dann müssen sie eben verkaufen.« So hetzt das System der Mikrokredite die Menschen aufeinander. »Selber schuld«, das ist die Rhetorik der Gewinner eines Systems, mit der das Scheitern anderer erklärt wird, statt Ungerechtigkeit zu hinterfragen. Als wir gehen, sagt Nilu stolz: »Bald bau ich ein neues Haus. Das kann eben nicht jeder.« Tatsächlich habe ich niemanden mehr getroffen, dem das gelang.
Sabojbag, ein Slum am Rande von Patuakhali, einer Stadt an den Ufern des Golf von Bengalen. Die notdürftig zusammengebauten Hütten stehen direkt im Mangrovenwald. Hier gibt es keinen Damm, der die Menschen schützen könnte, obwohl sie seit vielen Jahren einen fordern. So sind sie jeder Überschwemmung ausgeliefert; in der Regenzeit ist das Land immer überflutet. Mehr als 100 Menschen starben hier im Zuge der Verwüstungen durch den Zyklon Sidr. Lali Begum sitzt neben ihrer Hütte. Man kann ihr Alter kaum schätzen, ihr Körper ist ausgemergelt, ihre Zähne, ihr ganzer Mund sah blutig rot aus. Das kommt vom Betelnusskauen; die Nuss färbt Schleimhaut und Zähne. Lali muss sehr hungrig sein. Ihr rechter Arm hängt schlaff an ihr herunter, die Hand ist steif und verkrümmt. Als die Flut sie mitriss, hat sie sich die Hand an einem Blechdach aufgerissen, das Metall hat Nerven und Sehnen durchtrennt. Jetzt kann Lali ihre Rechte nicht mehr bewegen, an Arbeit ist kaum zu denken. Bei vier Kreditinstituten hat Lali Schulden, bei der Grameen Bank, bei BRAC , bei den NGO s Shanapur und Udipon. Dabei fing es gut an; vor der Sidr-Katastrophe nahm sie die Kredite auf, baute damit einen Kiosk, der gut lief. Dann kam der Zyklon, und nun ist der Kiosk weg, ebenso die Fischerei ihres Mannes Abdul Malik. Sidr hat die Boote zerstört und die Fische vertrieben, Lali und ihr Mann stehen, wie ihre Nachbarn, seither vor dem Nichts. Und doch kommen die Geldeintreiber Tag für Tag. »Sollen sie uns doch endlich ins
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