Wir müssen leider draußen bleiben
Bildung« von Politik und Wirtschaft nichts als Sonntagssprüche. »Wenn es ihnen wirklich ernst wäre, dann müssten sie sich als Erstes fragen: Was sind uns die Schulen, die Universitäten wirklich wert? Dann müssten sie aufhören, den Bildungsbereich weiter auszuquetschen. Schulgebäude, Universitäten zerfallen. In den letzten zehn Jahren wurden fast 1 500 Professorenstellen eingespart, bei den Geisteswissenschaften fielen über zehn Prozent weg, manche Fächer werden regelrecht ausgelöscht.« 228 Was er meint, versteht man recht schnell, wenn man Hartmann in der Technischen Universität Darmstadt besucht, wo er seit 1999 als Professor für Soziologie lehrt. Ein Teil der Hochschule ist im Residenzschloss in der Innenstadt untergebracht. Doch der äußere Glanz trügt. Das Gebäude ist innen reichlich marode, überall bröckelt Putz von den schmutzigen, mit Löchern übersäten Wänden. Ein Bild von symbolischer Kraft.
Hartmann ist Autor der empirischen Studie Der Mythos von den Leistungseliten . Darin untersuchte er den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Zugangschancen zu Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Justiz. Das Ergebnis: Solche Positionen werden zu einem überwältigenden Anteil von Kindern des gehobenen oder Großbürgertums besetzt. 85 Prozent der Topmanager, 65 Prozent der in der Justiz Angestellten und 70 Prozent in der Politik entstammen den höheren Schichten, die jedoch gerade mal 3,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Doch dieser kleine Teil bestimmt die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland – und zwar nach seinen eigenen Interessen.
Eines ihrer Anliegen ist es, den Mythos der Leistungsgerechtigkeit aufrechtzuerhalten, der besagt, Elite sei, wie der Duden es definiert, die »Auslese der Besten«: Die Besten sind oben. Was aber ist Ursache und was Wirkung?
Indem die Eliten behaupten, sie seien die Besten und genau deswegen auch oben, indem sie also ihren Status als ausschließliche Folge ihre Leistung verklären, halten sie auch den Glauben der Mittelschicht aufrecht, jeder könne es nach oben schaffen, wenn er sich nur genug anstrenge. Zwar vermuten 28 Prozent der Deutschen, dass Herkunft »sehr oft« eine Rolle spielt, wenn es um die Erlangung von Reichtum geht, 52 Prozent halten sie »oft« für wichtig. Doch 68 Prozent sind sich sicher, dass es auch die »Fähigkeiten« sind, die mit Reichtum belohnt werden. Und 82 Prozent befinden es für gut, dass »jeder die Freiheit hat, selbst reich werden zu können. 229 «
Klar: Niemandem wird es verboten, reich zu werden. Doch während der Durchschnittsbürger innerhalb von fünf Jahren sein Vermögen um gerade mal 1,6 Prozent steigern konnte, wuchs das Vermögen des einen reichsten Prozents um ganze 10 Prozent.
Es sind, wie Michael Hartmann herausgefunden hat, ganz andere Mechanismen, die Topkarrieren bestimmen. Die Elite rekrutiert sich aus sich selbst: » Die erheblich besseren Karriereaussichten für Bürgerkinder resultieren im Kern aus der Tatsache, dass die Personen, die an der Spitze der Unternehmen stehen und damit über die Besetzung der Toppositionen entscheiden, für diese Positionen jemanden suchen, der ihnen im Habitus gleicht oder zumindest ähnelt: Bürgerkinder suchen Bürgerkinder. Die entscheidenden Besetzungskriterien sind intime Kenntnis der Benimmcodes, breite Allgemeinbildung, unternehmerisches Denken sowie vor allem persönliche Souveränität.«
Das geben Topmanager sogar unumwunden zu. Ein Teilnehmer des LAB-Managerpanels, das Führungskräfte befragt, um ein » Stimmungsbild der Wirtschaft aus Sicht von Managern« zu bekommen, sagt: »Die fachlichen Fähigkeiten reichen für eine berufliche Karriere bis zur Spitzenposition nicht aus. Vielmehr benötigt man dazu entsprechende Beziehungen und Kontakte zu einflussreichen Personen im Unternehmen, die den Kandidaten fördern und promoten. […] Mit den entsprechenden Kontakten haben sogar fachlich und menschlich mittelmäßige oder unterdurchschnittliche Personen sehr gute Chancen, Spitzenpositionen zu erreichen, die die anderen ohne entsprechende Kontakte nicht haben.« 230
Entscheidend sind also nicht Fleiß und gute Noten, sondern ein bestimmtes Weltbild, Standesbewusstsein, kultiviertes Benehmen und Distanz nach unten. »Eliten bewegen sich zunehmend in einer Parallelwelt. Der obere Teil der Bevölkerung verkehrt weitgehend unter seinesgleichen.« Abgespalten von der Plebs, deren Interessen für ihr eigenes Leben völlig
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