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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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»Industrieschwund« verbreitet. Damit wollte er den Atomausstieg so lange wie möglich verhindern.
    Dabei weiß auch das Bundesbildungsministerium spätestens seit PISA : Es »entscheidet in kaum einem anderen Industriestaat die sozio-ökonomische Herkunft so sehr über den Schulerfolg und die Bildungschancen wie in Deutschland«. 225 So steht es auf der Homepage des Ministeriums. Nach einer Erhebung unter allen Hamburger Fünftklässlern benötigt zum Beispiel ein Kind, dessen Vater das Abitur gemacht hat, ein Drittel weniger Punkte für eine Gymnasialempfehlung als ein Kind mit einem Vater ohne Schulabschluss. Die Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« des Deutschen Bundestags schrieb im November 2011: »Ein hohes Bildungsniveau in der Gesellschaft befördert eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft und ist selbst ein wesentlicher Faktor für gesellschaftliches Wohlergehen.« Dennoch gibt Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestaaten lächerlich wenig Geld dafür aus: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sanken die Ausgaben von Staat und Privatwirtschaft von 6,8 Prozent Mitte der neunziger Jahre auf 6,2 Prozent 2008. Damit liegt Deutschland im OECD -Vergleich weit hinter anderen Industrienationen.
    Der Mythos der Leistungsgerechtigkeit
    Der Eliteforscher Michael Hartmann, der »Wir wollen lernen« scharf kritisiert, ist ebenfalls davon überzeugt, dass das dreigliedrige Schulsystem Bildungsgerechtigkeit verhindert und stattdessen Klassenunterschiede zementiert, ja, den Leistungsmythos aufrechterhält. Er sagt: »Bildung ist ein Erklärungs muster, das man gut verwenden kann. Es entlastet. Man sagt den Leuten ja nicht: Spielt Lotto. Sondern: Jeder Einzelne kann es schaffen, wenn er sich nur genug anstrengt.«
    Ein schlichtes Argument, das implizit im Bildungspaket der Bundesregierung zu erkennen ist, das den Kindern von Hartz- IV-Empfängern und Bedürftigen staatliche Zuschüsse für Nachhilfe, Sportvereine, Musikschulen, Schulmaterial, Klassenfahrten oder Mittagessen gewähren soll. Leider sind die Bildungsgutscheine, wie sie Arbeitsministerin Ursula von der Leyen noch als Familienministerin durchsetzte, im Grunde eine Mogelpackung. Denn sie fördern nicht die Bildung als solche, sie leiten Geld nicht in den dringend nötigen Ausbau des Bildungssystems, sondern an den Einzelnen – und mit dem Geld auch die Verantwortung. Nun kann man von 100 Euro im Jahr weder eine ordentliche Nachhilfe (die ohnehin nur gestattet wird, wenn es schon beinahe zu spät, sprich: das Kind versetzungsgefährdet ist) noch eine Mitgliedschaft im Sportverein oder gar den Violineunterricht an Musikschulen bezahlen, doch damit nicht genug: Bildungsgutscheine befördern die Zwei-Klassen-Gesellschaft. Sie stigmatisieren Kinder als arm und ihre Eltern als verantwortungslos. Denn was sonst drücken Bildungsgutscheine aus als die Idee, dass nur sie sicherstellen, dass das Geld auch wirklich bei den Kindern ankommt?
    Die Gutscheine wurden nach ihrer Einführung Anfang 2011 nur schlecht angenommen. Das lag daran, dass viele betroffene Eltern kaum oder gar nicht informiert worden waren und außerdem die Antragstellung etwa so kompliziert war wie eine Steuererklärung. Viele Hartz-IV-Empfänger, mit denen ich während meiner Recherche gesprochen habe, befürchteten zudem, mit den Bildungsgutscheinen nun endgültig »die Hosen runterlassen« zu müssen, wo sie doch sonst alles unternehmen, ihre Armut zu verbergen. Den konservativen Hasspredigern aber diente die Zurückhaltung der Bedürftigen als Beleg für die Richtigkeit ihrer menschenverachtenden Argumente: »Bildungsgutscheine sind ausschließlich für das Wohl der Kinder, man kann sie nicht für Nikotin und Alkohol benutzen. Sie lassen sich eben nicht verrauchen und versaufen«, sagte etwa der Berliner CDU -Abgeordnete Frank Steffel. 226
    Und auch Ursula von der Leyen sprach mahnend von der »Holschuld« der Eltern. Sie hätte ebenso gut sagen können: Da kann man es sehen, die wollen einfach nicht. Ihre Kinder sind ihnen egal. Kann man nichts machen. Der Sozialrichter Jürgen Borchert widerspricht dem energisch: »Tatsache ist, dass alle Untersuchungen ausnahmslos das Gegenteil zu Tage fördern, dass sich nämlich gerade im untersten Einkommensbereich die Eltern besonders sorgfältig um die Bildung kümmern, sich dafür sogar verschulden und hungern dafür, dass ihre Kinder diese Leistungen erhalten.« 227
    Für Hartmann sind die ständigen Forderungen nach »mehr

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