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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Othmarschen gibt es viele Frauen, die studiert haben, aber nicht arbeiten. Sie kümmern sich nur um die Aufzucht ihrer Kinder. Die haben Angst, dass ihre Aufgabe verloren geht. Und davor, dass es in einer Gesamtschule womöglich auffallen könnte, dass auch ihre Kinder leistungsschwach sind.« Selbst im vornehmen Gymnasium Hochrad, weiß sie, bräuchte ein Drittel der Kinder Nachhilfe.
    »Da wurden ganz bewusst Ängste geschürt – um Sachgründe ging es bei ›Wir wollen lernen‹ nie. Und wenn man Angst hat, dann ist man für rationale Argumente nicht mehr zugänglich«, sagt Stefanie von Berg. Argumentativ hätten Scheuerl und seine Leute bei Diskussionen immer den Kürzeren gezogen – »das kann man ja auch am Wahlergebnis sehen, das war ja ziemlich knapp. Das heißt positiv gedreht: Ein ganze Menge waren für die Schulreform«, sagt Lührs. Er bedauert, dass sie vor allem diejenigen nicht erreichen konnten, die von der Primarschule profitiert hätten: »An die sogenannte Unterschicht kamen wir einfach nicht ran«. Ohnehin hätte ja ein großer Teil derer, die das betrifft, nämlich die Migranteneltern, nicht wählen dürfen. Michael Dürrwächters Sohn besucht eine Förderschule. Er sagt, dass die Schulleiterin dort ebenfalls an »ihrer« Schule festgehalten habe. Das mag auch daran liegen, »dass sie in Eppendorf wohnt und nicht möchte, dass ihre eigenen Kinder betroffen sind«, vermutet er.
    Am schlimmsten aber sei, so sagen die Mitglieder, dass nun das etablierte Schulsystem auf Jahre hinaus festgeschrieben sei. Im »Hamburger Schulfrieden«, den alle Koalitionspartner damals unterzeichnet hatten, sei festgelegt, dass nach der Schulreform zehn Jahre lang nicht mehr am Schulsystem gerüttelt werden dürfe. »Das ist auch ein Signal für die ganze Republik. Alle haben damals nach Hamburg geschaut. Jetzt traut sich an so was keiner mehr ran«, befürchtet Lührs.
    »Eliteförderung« statt Bildungsgerechtigkeit
    Bundesbildungsministerin Annette Schavan lobte das Ergebnis des Hamburger Volksentscheids. Es sei eine »eine gute Nachricht für das Gymnasium und eine gute Nachricht für das Selbstbewusstsein der Bürger«. Die CDU -Politikerin steht für ein konservatives, leistungsorientiertes Bildungssystem. Als Kultusministerin von Baden-Württemberg setzte sie dort das umstrittene achtjährige Gymnasium (G8) durch, das die Selektion weiter verstärkt. In der schwarz-gelben Bundesregierung trieb Schavan ebenfalls das Eliteförderungsprogramm voran. Damit sollen 160 000 Studenten durch Stipendien auf Staatskosten weiter gefördert werden. 220 »Eliteförderung« kann man dabei ganz wörtlich nehmen: Von der Allgemeinheit subventioniert werden eben nicht die, die es nötig hätten. Der größte Anteil der deutschen Studierenden stammt aus akademischen Elternhäusern. Und von Stipendien profitieren ebenfalls vor allem Akademikerkinder. Dennoch stellen Bund und Länder 2,7 Milliarden Euro zwischen 2013 und 2017 für die »Exzellenzinitiative« bereit, um Nachwuchswissenschaftler in Graduiertenschulen und Forschungsgruppen in »Exzellenzclustern« zu fördern und eine kleine Gruppe von »Spitzenuniversitäten« zu küren. 221 Das ist ein Fünftel des gesamten Bildungsetats von 10,7 Milliarden Euro. 222
    Damit setzt die Regierung ganz oben an. Nicht nur dass sie die ohnehin Wohlhabenden fördert: 83 von 100 Akademikerkindern schreiben sich in Deutschland an einer Hochschule ein; aus Familien ohne akademische Tradition machen das nur 23 von 100 Kindern. Nur acht Prozent der Studierenden sind Migrantenkinder. Die Selektion hat aber bereits Jahre zuvor in der Grundschule angefangen. Dort werden nach der vierten Klasse 60 Prozent eines Jahrgangs aussortiert, für die ein Studium ab diesem Zeitpunkt praktisch nicht mehr oder nur noch über Umwege möglich ist. »Eliteförderung« ist natürlich auch ein Schlagwort der Wirtschaftsmächtigen: »Ohne Eliteförderung ist Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig«, »warnte« etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie. 223 Immer, wenn die Wirtschaft »warnt«, geht es um nichts anderes als darum, gefälligst ihren Wünschen zu folgen – sonst droht der Untergang mindestens des Abendlands. Wenn man beispielsweise »Jürgen Großmann« und »warnt« bei Google eingibt, bekommt man mehr als 150 000 Treffer. 224 Der Geschäftsführer des Energiekonzerns RWE hat schon die schillerndsten Horrorszenarien von der »Stromlücke« über die »Ökodiktatur« bis hin zum

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