Wir müssen leider draußen bleiben
******* sitzt auf der Eckbank; auf der Lehne liegen gestrickte Schlangen aus Wolle, versehen mit einem Preisschildchen. Wir befinden uns im B-Laden, einer Filiale des Sozialkaufhauses Contact in Augsburg. Birgit Kramer arbeitet hier. Sie klebt noch einen Streifen Geschenkpapier auf die Vorderseite, lächelt und fragt: »Wie findest du das so?«
Ich finde es schön und erschütternd. Aber für Birgit ist trotzdem ein guter Tag. Franziska hat die Fachoberschule abgeschlossen und ihre Ausbildung in einem Auktionshaus begonnen. Aber nicht nur das: Birgit Kramer reckt die Arme in die Höhe und sagt: »Ich bin die ARGE los!«
Wenn es nach der Bundesregierung geht, dann ist die 52-jährige Teil des »Job-Wunders«. Das heißt nicht, dass sie eine sozialversicherte Vollzeitstelle hätte. Birgit hat es geschafft, nach einem Ein-Euro-Job einen befristeten Vertrag für einen Mini-Job auf 400 Euro-Basis im Sozialkaufhaus zu bekommen. Trotzdem sagt sie: »Jetzt kann ich wieder frei atmen.« Ihr künftiger Haushaltsplan ist auf Kante genäht: Franziska bekommt 400 Euro netto Lehrlingsgehalt, mit Kindergeld und Unterhalt für die Tochter schaffen sie es zusammen gerade so auf ein Einkommen knapp unter Hartz IV. Damit sind sie noch schlechter gestellt als zuvor, denn nun müssen sie alles selbst zahlen: Miete, Neben- und Heizkosten, Zahnarztbesuche. »Es darf dann einfach nichts schief gehen«, hofft Kramer. Eine große Wahl hatten sie ohnehin nicht: als Franziska den Ausbildungsplatz bekam, erfuhr Birgit, dass ihr dann die Hartz IV-Bezüge gekürzt würden, wenn ihre Tochter weiter bei ihr wohnen bliebe. Nur wenn Franziska ausgezogen wäre, hätte sie wieder Hartz IV für sich selbst beantragen können. »Ich habe geheult, als ich ihr sagen musste, dass sie vielleicht ausziehen muss.«
Birgit Kramer hat, wie fast alle Hartz IV-Empfänger, eine ganz normale Job-Biographie. Sie ist ausgebildete Außenhandelskauf frau und hat viele Jahre bei einer Versicherung gearbeitet. Als sie keinen Kindergartenplatz für ihre Tochter bekam, musste sie ein gutes Jobangebot ausschlagen. »Dann ging’s los.« Heißt: Sie hat jahrelang gejobbt. Geputzt, Supermarktregale aufgefüllt, im Telefonmarketing gearbeitet. Dort habe es keine Arbeit mehr für sie gegeben, nachdem sie sich einmal in sechs Jahren krankgemeldet hatte. Dann kam es zur familiären Katastrophe: Das Doppelleben ihres Mannes flog auf, und ans Tageslicht kam nicht nur eine andere Frau, sondern auch eine Menge offener Rechnungen. Ohne eigene Schuld musste Birgit Privatinsolvenz anmelden; schließlich blieb ihr nichts anderes mehr übrig, als Hartz IV zu beantragen. Innerhalb von zwei Jahren erhielt sie ein einziges reguläres Jobangebot: eine Stelle als Sekretärin in einem Unternehmen in Türkheim. Voraussetzung: Kroatischkenntnisse in Wort und Schrift. Der Rest: Auf forderung zur Bewerbung bei Zeitarbeitsfirmen, Fortbildungs maßnahmen, Bewerbungen schreiben. Eines Tages lernte sie Roswitha Kugelmann kennen, die das Second-Hand-Kaufhaus Contact in Augsburg gegründet hat. Von ihr erhielt Birgit Kramer ihren Ein-Euro-Job.
Sozialkaufhaus – »Paradies für Arme«?
Contact ist untergebracht in einer riesigen, 4 000 Quadratmeter großen Halle im Gewerbegebiet Haunstetten. Die Hallen sind randvoll mit gebrauchten und gespendeten Möbeln, mit Geschirr, Haushaltswaren, Vorhängen, Tischdecken, Handtüchern, Kleidern, Nippes, Schuhen und Büchern, die günstig verkauft werden. Ein Sozialberechtigungsschein ist hier nicht nötig. »Es gibt eine Menge Leute in unserer Stadt, die sind so arm, dass sie sich kaum das Straßenbahnticket zu uns leisten können«, sagt Roswitha Kugelmann. Daher hat sie die Verschenkhalle eingerichtet, in der Gegenstände kostenlos verteilt werden. In der Filiale B-Laden, der in einem ruhigen Wohngebiet im selben Stadtteil liegt, werden Kleider, Bücher und Spielzeug, die nicht binnen vier Wochen über den Ladentisch des Sozialkaufhauses gegangen sind, noch günstiger verkauft: das Stück für 50 Cent, drei Teile für einen Euro.
Bei Contact arbeiten sechzig Ehrenamtliche und elf Angestellte. Bis vor Kurzem waren dort auch dreißig Ein-Euro-Jobber beschäftigt. Doch die Fördermaßnahmen wurden nicht verlängert, Kugelmann konnte nur die Hälfte in Minijobs oder als Auszubildende übernehmen. Die Einrichtung trägt sich ausschließlich durch den Verkauf, von den laufenden Kosten von 40 000 Euro für Miete, Strom, Wasser und Logistik im Monat machen die
Weitere Kostenlose Bücher