Wir müssen leider draußen bleiben
Lohnkosten mehr als die Hälfte aus. Das fehlende Geld für Löhne versucht Kugelmann durch andere Angebote wettzumachen: Es gibt ein kostenloses Mittagessen, das aus Essensspenden gekocht wird. Ähnlich wie die Tafeln bekommt auch Contact übrig gebliebene Lebensmittel. Genauer: solche, die nicht einmal die Tafel haben will. Seit die Augsburger Tafel die Spenden von Lidl aussortiert hat, liefert der Discounter jetzt an Contact. Die Lebensmittel liegen in einem Raum, jeder Mitarbeiter darf sich hier bedienen. Niemand möchte deswegen vor Scham ein Kopftuch aufsetzen. Man muss sich dafür nicht »hinten anstellen«, man muss keinen Nachweis der Bedürftigkeit erbringen, man muss sich nicht belehren lassen. Auch ostentative Dankbarkeit erwartet keiner. Im Sommer gab es sogar einen gemeinsamen Betriebsausflug an den Gardasee.
Auf gewisse Weise ist Contact ein paralleles Universum. Eine parallele Einkaufswelt für die, die sich nicht auf dem ersten Konsumgütermarkt bedienen können. Aber auch ein Paradies für Flohmarktjäger. Und eine parallele Arbeitswelt für die, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben. Hier arbeiten viele, die arbeiten wollen, aber eigentlich nicht mehr können: Alte, die nicht von ihrer Rente leben können. Kranke Menschen. Menschen mit Depressionen. Menschen, die mürbe geworden sind durch die Gängeleien des Arbeitsamts. Viele haben hier einen würdigen Platz gefunden: Johan nes*, trockener Alkoholiker, der in einer Lagerhalle Möbel res tauriert. Hier leisten auch Jugendliche Sozialstunden ab. Zum Beispiel Mirco ******** , der fünf Euro geklaut und einen Polizisten beleidigt hat. Er arbeitet mit so großer Begeisterung in der Buchabteilung, dass er mittlerweile aus freien Stücken ein Berufsvorbereitungsjahr drangehängt hat.
Salvatore Tozzi* stellt eine Kanne frisch gebrühten Kaffee und einen Teller mit kleinen Marzipankugeln auf den Tisch. »Probier mal, hab ich heute selber gemacht.« Tozzi ist 46, wirkt mit seinen Tätowierungen aber fast jugendlich. Wie Birgit Kramer arbeitet er im B-Laden. Salvatore ist ein Workaholic, obwohl er sich kaum ohne Schmerzen bewegen kann. Er ist gelernter Fliesenleger und hat viele Jahre als Selbstständiger im Trockenbau ordentlich verdient. Doch nach drei Bandscheibenvorfällen und einem schweren Sturz auf den Rücken kann er diesen Beruf nicht mehr ausüben. Genau genommen sollte er gar nicht mehr arbeiten, »ich kann nicht lang sitzen, nicht stehen, nicht liegen, ich darf eigentlich auch nicht mehr als zehn Kilo heben«. Da Tozzi viele Jahre alkohol- und drogenabhängig war, darf er keine Schmerzmittel nehmen. Er sagt: »Nicht zu arbeiten ist für mich schlimmer als die Schmerzen.« Salvatore Tozzi arbeitet schon sein ganzes Leben; sein Vater stammt aus Sardinien, die Familie hatte in den siebziger Jahren einige Eisdielen und Pizzerien. Sein Vater, autoritär und gewaltbereit, hat ihn schon als Kind in der ganzen Verwandtschaft zum Arbeiten ausgeliehen – und selbst das Geld dafür kassiert.
Nachdem Tozzi sein Geschäft als Trockenbauer aufgeben musste, wollte er gerne in die Jugendarbeit: »Ich habe gedacht, dass ich mit meiner Erfahrung Jugendlichen helfen kann, die auf die schiefe Bahn geraten sind.« Er hat Praktika in Jugendeinrichtungen absolviert, aber ein Job ist daraus nie entstanden. »Ich bin zu dumm. Meine Ausbildung reicht dafür nicht aus«, sagt er sarkastisch. Lieber habe ihn eine Einrichtung, bei der er einen Ein-Euro-Job absolvierte, ein ganzes Fitnesscenter einrichten lassen und nur zu diesem Zweck beim Amt die Beschäftigung immer wieder verlängert. Ein Vollzeit-Job also, bei dem er praktisch nichts verdiente. Im Zeugnis habe dann gestanden: »Er hat fleißig mitgeholfen.« Im Arbeitsamt bat er, ihm dies wenigstens als richtigen Job anzurechnen. Doch da hieß es: Geht leider nicht. Denn die Arbeit hätte ja ein Meister machen müssen. Salvatore Tozzi weiß eine Menge solcher Geschichten zu erzählen. »Du bist ja irgendwann so weit, dass du alles machst, damit du nicht verhungerst. « Er hat Essen ausgefahren, für 80 Cent pro Stück, und im Altenheim geputzt: Für einen Euro die Stunde. »Ich habe alles immer durchgezogen. Und trotzdem musst du jedes Mal wieder einer neuen Zwanzigjährigen im Amt alles von vorn erzählen. Dabei steht alles im Computer.« Dauernd habe man ihm Fliesenlegerjobs angeboten, die er gar nicht ausüben darf. Ein ganze Reihe von Ein-Euro-Jobs hat er gemacht – und musste sie immer wieder
Weitere Kostenlose Bücher