Wir müssen leider draußen bleiben
Gewinner des »Jobwunders«
Es ist kurz vor Feierabend bei Contact, langsam leert sich der Laden. An der Kasse steht Carola Meißner ******** und rechnet die Tageseinnahmen zusammen. Ein ältere Frau betritt den Laden mit gesenktem Kopf. »Hallo Inge*, wie geht es dir?«, ruft Meißner. Inge zuckt nur mit den Schultern, langsam, kraftlos und ohne nach rechts und links zu schauen geht sie zum Büro. Inge hatte bei Contact bis vor Kurzem einen Ein-Euro-Job. »Für sie geht die Scheiße jetzt von vorne los. Sie steckt wieder mitten drin in den Mühlen der ARGE [ Bundesagentur für Arbeit ] . Man sieht doch, dass sie nie mehr wirklich arbeiten kann. Das ist bei den meisten so, die gehen mussten. Dabei hatten sie es hier so gut.« Inge ist Mitte 50, wirkt aber viel älter. Jetzt kommt sie in den Laden, um sich kostenlos Essen zu holen, sonst käme sie nicht über die Runden. »Mein Gott, das ist so traurig«, sagt Carola Meißner.
Sie sagt, andere ehemalige Ein-Euro-Jobber hätten einen Aushilfsjob bei Amazon bekommen. Der Online-Buchhändler hat 2011 ein Depot nahe Augsburg eingerichtet und will nach eigenen Angaben 1 000 neue Arbeitsplätze schaffen und zusätzlich 2 000 Plätze für saisonale Mitarbeiter. Die Arbeitskräfte sucht sich Amazon mit Unterstützung der Arbeitsagentur. Das hat einen einfachen Grund: Amazon, der weltgrößte Versandhändler (Umsatz global: 34,2 Milliarden Dollar) muss den Beschäftigten zwei Wochen lang keinen Lohn bezahlen, wenn ihre Tätigkeit als »Probearbeit« deklariert werden kann. Dann bekommen die Arbeiter einfach weiter Hartz IV. Diese Praxis ist ebenso schamlos wie legal, denn sie ist Teil der Wiedereingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt und wurde mit den Hartz-Gesetzen beschlossen. Bis zu acht Wochen werden Praktika oder Probearbeitszeit unterstützt. Zuschüsse von bis zu 50 Prozent des Lohns können ein Jahr lang gewährt werden. Mit anderen Worten: Statt der Unternehmen bezahlt dann die Allgemeinheit für die Arbeit. Amazon hat diese Unterstützung bereits in den Niederlassungen Werne, Rheinberg und in Graben bei Augsburg ausgenutzt und mehrere tausend Probearbeiter auf dieser Basis beschäftigt – und zwar immer wieder. Einen festen Job bekommen sie deswegen noch lange nicht. Die Jobs sind befristet, die meisten müssen nach dem Weihnachtsgeschäft wieder gehen. Bis zu einer Million Euro hat sich Amazon dadurch bereits gespart. 292
2010 erhielten 1,3 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II, obwohl sie einer Beschäftigung nachgingen. 10,9 Milliarden Euro staatliche Zuschüsse zahlte die Bundesagentur für Arbeit an Unternehmen. 300 000 der so genannten Aufstocker waren sogar Vollzeit beschäftigt und erhielten dafür einen Bruttolohn von maximal 800 Euro. 293
Unter dem Motto »Mehr Wachstum und Beschäftigung« verkündete Rot-Grün 2003 die Agenda 2010. Dass die Reform nichts als ein großzügiges Geschenk der Regierung an die Wirtschaft war, konnte man schon an der Zusammensetzung der Hartz-Kommission erkennen, die Gerhard Schröder im Februar 2002 berief. Ein Konglomerat der Wirtschaftselite, deren Profitinteresse evident ist. In der Kommission saßen unter anderem: Norbert Bensel, damals Mitglied des Vorstandes der Daimler Chrysler Services AG , Jobst Fiedler von der Unternehmensberatung Roland Berger, Heinz Fischer, der Personalleiter der Deutschen Bank, Peter Kraljic, Direktor vom McKinsey Deutschland, Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, und Eggert Voscherau, Vorstandsmitglied bei BASF . Leiter der Kommission war Peter Hartz, Ex-Vorstandsmitglied der Volkswagen AG . Der Manager hatte in Wolfsburg mit Unterstützung von McKinsey 30 000 Jobs bei VW gerettet, indem er einer alten Gewerkschaftsidee folgte und die vorhandene Arbeit mit we niger Stunden und weniger Lohn auf mehr Menschen verteilte. Dafür erhielt Hartz viel Anerkennung – bis 2006 ein Strafverfahren wegen Veruntreuung von Firmengeld in 44 Fällen gegen ihn eröffnet wurde. Unter anderem soll Hartz den damaligen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert zehn Jahre lang mit einem »Sonderbonus« von jährlich 200 000 Euro begünstigt haben. Auch dessen brasilianischer Geliebten soll Hartz ein mo natliches »Zusatzeinkommen« von 7 600 Euro im Monat verschafft haben. Knapp 400 000 Euro kamen da zusammen. 294
Auch die Bertelsmann-Stiftung lieferte entscheidenden Input. Mit einem Stiftungskapital von 619 Millionen Euro und rund 300 Mitarbeitern ist sie
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