Wir nannten ihn Galgenstrick
Ecktisch zuging. Er blickte auf die Uhr. Es war Punkt halb sieben.
»Ist gut, Königin«, sagte er zerstreut. »Wie du willst. Ich mache immer alles, wie du’s willst.«
»Schön«, sagte die Frau. »Dann brat mir jetzt mein Beefsteak.«
Der Mann ging zum Kühlschrank, holte einen Teller mit, Fleisch heraus und stellte ihn auf den Tisch. Dann zündete er den Herd an.
»Ich werde dir ein anständiges Abschiedsbeefsteak braten«, sagte er.
»Danke, Pepillo«, sagte die Frau.
Sie versank in Nachdenken, als sei sie plötzlich in eine seltsame Unterwelt getaucht, bevölkert von trüben, unbekannten Formen.
Auf der anderen Seite der Theke war das Geräusch des frischen Fleischs in der siedenden Butter nicht zu hören. Nachher hörte sie auch nicht das trockene, brodelnde Knistern, als José das Lendenstück in der Pfanne umdrehte und der saftige Geruch des gewürzten Fleischs allmählich die Luft des Restaurants sättigte. Gesammelt, übermäßig gesammelt saß sie da, bis sie endlich blinzelnd den Kopf hob, als sei sie von einem sekundenlangen Tod zurückgekehrt. Dann sah sie den Mann, der, vom fröhlich lodernden Feuer erleuchtet, vor dem Herd stand.
»Pepillo.«
»Ah!«
»Woran denkst du?« sagte die Frau.
»Ich dachte, ob du irgendwo das Aufziehbärchen finden könntest«, sagte José.
»Klar kann ich das«, sagte die Frau. »Aber ich will, daß du mir sagst, ob du mir alles gibst, was ich mir zum Abschied von dir wünsche.«
José blickte vom Herd auf.
»Bis wann soll ich dir das sagen?« sagte er. »Willst du noch mehr als das beste Beefsteak ?«
»Ja«, sagte die Frau.
»Was?« sagte José.
»Ich will noch eine Viertelstunde.«
José lehnte den Körper zurück, um auf die Uhr zu sehen.
Dann blickte er auf den Stammgast, der still in seiner Ecke wartete, und schließlich auf das Fleisch, das in der Pfanne bräunte. Erst dann sprach er.
»Im Ernst, ich verstehe nicht, Königin«, sagte er.
»Sei nicht blöd, José«, sagte die Frau. »Denk daran, daß ich seit halb sechs hier bin.«
Nabo. Der Neger, der die Engel warten ließ .
1951
Nabo lag auf dem Gesicht im Heu. Er spürte den Uringeruch des Stalls, der über seinen Körper strich. Er fühlte auf der grauen glänzenden Haut die lauwarme Lohe der letzten Pferde, aber er fühlte nicht seine Haut. Nabo fühlte nichts. Es war, als habe er seit dem letzten Schlag des Hufs gegen seine Stirn geschlafen und seither nur dieses eine Gefühl. Ein doppeltes Gefühl, das ihm den Geruch nach feuchtem Stall und zugleich das unzählige Gewusel der unsichtbaren Insekten im Heu anzeigte. Er öffnete die Augen. Er schloß sie wieder und verharrte ruhig, ausgestreckt, hart, wie er es den ganzen Nachmittag getan hatte, und er fühlte sich zeitlos wachsen, bis jemand hinter ihm sagte: »Los, Nabo. Du hast genug geschlafen.« Er drehte sich um und sah nicht die Pferde, obwohl die Tür geschlossen war. Nabo mußte sich sagen, daß die Tiere irgendwo in der Dunkelheit waren, obwohl er nicht ihr ungeduldiges Ausschlagen hörte. Er sagte sich, daß der, der mit ihm sprach, wohl außerhalb des Pferdestalls war, denn die Tür war von innen verschlossen und verriegelt. Wieder sagte die Stimme hinter ihm: »Ganz recht, Nabo, du hast genug geschlafen. Du schläfst seit gut drei Tagen.« Erst jetzt öffnete Nabo die Augen ganz und erinnerte sich: »Ich bin hier, weil ein Pferd mir einen Huf schlag versetzt hat.«
Er wußte nicht, in welcher Stunde er lebte. Die Tage waren zurückgeblieben. Es war, als habe jemand mit einem feuchten Schwamm über die fernen Samstagabende gewischt, an denen er auf den Dorfplatz gegangen war. Er vergaß sein weißes Hemd. Er vergaß, daß er einen grünen Hut besaß, aus grünem Stroh, und eine dunkle Hose. Er vergaß, daß er keine Schuhe besaß. Nabo ging Samstag abends auf den Platz, setzte sich in eine Ecke, stumm, aber nicht um die Musik zu hören, sondern um den Neger zu sehen. Er sah ihn jeden Samstag. Der Neger trug eine Hornbrille, die an den Ohren festgebunden war, und spielte an einem der hinteren Notenpulte Saxophon. Nabo sah den Neger, aber der Neger sah Nabo nicht. Jedenfalls, hätte jemand gewußt, daß Nabo Samstag abends auf den Platz ging, um den Neger zu sehen, und ihn gefragt (nicht jetzt, weil er sich nicht daran erinnern konnte), ob der Neger ihn denn einmal gesehen habe, hätte Nabo nein gesagt. Es war das einzige, was er nach dem Pferdestriegeln tat: den Neger sehen.
Eines Samstags stand der Neger nicht hinter
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