Wir nannten ihn Galgenstrick
stets pünktlich das Grammophon auf. Es war in den Tagen, als Nabo noch Samstag abends auf den Platz ging. Eines Tages, als der Bursche im Pferdestall war, sagte jemand am Grammophon: »Nabo.« Wir waren auf der Veranda, kümmerten uns nicht um das, was niemand gesagt haben konnte. Doch als wir zum zweiten Mal »Nabo« hörten, hoben wir den Kopf und fragten: »Wer ist bei der Kleinen?« Und jemand sagte: »Ich habe niemand reingehen sehen.« Und ein anderer sagte: »Ich bin sicher, eine Stimme gehört zu haben, die >Nabo< gesagt hat.« Doch als wir nachsahen, fanden wir nur die Kleine auf dem Fußboden an der Wand lehnen.
Nabo kam früh wieder und legte sich zu Bett. Am darauffolgenden Samstag kehrte er nicht auf den Dorfplatz zurück, weil der Neger bereits ersetzt worden war. Und drei Wochen später, an einem Montag, begann das Grammophon zu spielen, während Nabo im Stall war. Anfangs kümmerte sich niemand darum. Erst später, als wir den Negerjungen kommen sahen, singend und vom Pferdewasser triefend, fragten wir: »Wie bist du herausgekommen?« Er sagte: »Durch die Tür. Ich war seit Mittag im Stall.« »Das Grammophon spielt. Hörst du es nicht?« fragten wir. Nabo sagte ja. Und wir fragten: »Wer hat es aufgezogen?« Und er, mit den Achseln zuckend: »Die Kleine. Sie zieht es schon lange auf.«
So standen die Dinge bis zu dem Tag, an dem wir ihn mit dem Gesicht im Heu liegen sahen, eingeschlossen im Stall und die Kante des Hufs in die Stirn gegraben. Als wir ihn an den Schultern hochhoben, sagte Nabo: »Ich bin hier, weil ein Pferd mich geschlagen hat.« Aber niemand interessierte sich für das, was er sagen mochte. Uns interessierten die kalten toten Augen und der mit grünem Schaum bedeckte Mund. Er weinte die ganze Nacht, fieberheiß, irreredend und von dem Kamm fantasierend, der im Heu des Stalls verlorengegangen war. Das war am ersten Tag. Am darauffolgenden, als er die Augen öffnete und sagte: »Ich habe Durst« und wir ihm Wasser brachten und er es in einem Zug austrank und er noch zweimal um etwas mehr bat, fragten wir ihn, wie er sich fühle, und er sagte: »Ich fühle mich, als hätte mich ein Pferd geschlagen.« Und er redete den ganzen Tag weiter und die ganze Nacht. Schließlich setzte er sich im Bett auf, deutete mit dem Zeigefinger nach oben und sagte, wegen der galoppierenden Pferde habe er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Doch seit der vergangenen Nacht hatte er kein Fieber mehr. Auch redete er nicht mehr irre, sondern redete einfach weiter, bis wir ihm ein Taschentuch in den Mund stopften. Nun fing Nabo hinter dem Taschentuch zu singen an, sagte, neben seinem Ohr höre er das Atmen der Pferde, die über der verschlossenen Tür nach Wasser suchten. Als wir ihn von dem Taschentuch befreiten, damit er etwas aß, drehte er sich zur Wand, und wir glaubten alle, er sei eingeschlafen, und vielleicht schlief er auch kurze Zeit. Als er aber erwachte, lag er nicht mehr im Bett. Seine Füße und seine Hände waren an einem Stützbalken angebunden. Gefesselt begann Nabo zu singen.
Als er ihn erkannte, sagte Nabo zu dem Mann: »Ich habe Sie schon gesehen.« Und der Mann sagte: »Jeden Samstag hat man mich auf dem Platz gesehen.« Und Nabo sagte: »Stimmt, aber ich glaubte, ich hätte Sie gesehen, und Sie hätten mich nicht gesehen.« Und der Mann sagte: »Ich habe dich nie gesehen, aber nachher, als ich nicht mehr hinging, fühlte ich, als hätte mich jemand samstags nicht mehr gesehen.« Und Nabo sagte: »Sie sind nicht mehr hingegangen, aber ich bin noch drei oder vier Wochen hingegangen.« Und der Mann, der sich noch immer nicht von der Stelle rührte, sich aber auf die Knie hämmerte: »Ich konnte nicht mehr auf den Platz gehen, obwohl es das einzige war, was sich lohnte.« Nabo versuchte sich aufzurichten, schüttelte den Kopf im Heu und hörte weiterhin der kalten beharrlichen Stimme zu, bis ihm nicht mal mehr die Zeit blieb zu wissen, daß er von neuem einschlief. Das geschah immer, seitdem das Pferd ihn geschlagen hatte. Und immer hörte er die Stimme: »Wir erwarten dich, Nabo. Wir können schon nicht mehr nachrechnen, wie lange du geschlafen hast.«
Vier Wochen nachdem der Neger nicht mehr zur Kapelle zurückgekehrt war, kämmte Nabo den Schweif eines der Pferde. Das hatte er nie getan. Er striegelte sie nur, und dabei konnte man singen. Doch am Mittwoch war er auf den Markt gegangen, hatte einen Kamm gesehen und sich gesagt: Dieser Kamm da, zum Kämmen der Pferdeschweife. Dann geschah
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