Wir nannten ihn Galgenstrick
Aber nur dadurch. Er rührte sich nicht mehr drinnen, er sang nicht mehr. Es war wohl auch, nachdem man die Tür verschlossen hatte, daß Nabo zu dem Mann sagte: »Ich kann nicht zum Chor kommen.« Und der Mann fragte warum. Und Nabo sagte: »Weil ich keine Schuhe habe.« Und der Mann sagte, die Füße hebend: »Das macht nichts. Hier trägt niemand Schuhe.« Und Nabo sah die gelbliche harte Sohle der nackten Füße, die der Mann hochgehoben hatte. »Eine Ewigkeit schon warte ich auf dich«, sagte der Mann. »Vor einem Augenblick erst hat mich das Pferd geschlagen«, sagte Nabo. »Jetzt will ich mir etwas Wasser über den Kopf gießen, und dann will ich sie ausführen.« Und der Mann sagte: »Die Pferde brauchen dich nicht mehr. Es sind keine Pferde mehr da. Du sollst mit uns kommen.« Und Nabo sagte: »Die Pferde müßten hier sein.« Er richtete sich halb auf und vergrub die Hände im Heu, während der Mann sagte: »Fünfzehn Jahre schon haben sie niemand, der sie pflegt.« Aber Nabo scharrte auf dem Boden unter dem Heu und sagte: »Aber der Kamm muß noch da sein.« Und der Mann sagte: »Man hat den Pferdestall vor fünfzehn Jahren geschlossen. Jetzt ist er voller Abfall.« Und Nabo sagte: »Abfall sammelt sich nicht in einem Nachmittag an. Bis ich den Kamm nicht gefunden habe, gehe ich hier nicht raus.«
Am darauffolgenden Tag, nachdem sie die Tür verriegelt hatten, hörten sie wieder drinnen das mühsame Treiben. Diesmal rührte sich niemand. Niemand sagte wieder etwas, als sie das erste Knarren hörten und die Tür langsam, unter äußerstem Druck, nachgab. Drinnen hörte man etwas wie das Keuchen eines eingepferchten Tiers. Endlich hörte man das Kreischen der verrosteten Angeln, die barsten, als Nabo wieder den Kopf schüttelte. »Solange ich nicht den Kamm finde, gehe ich nicht zum Chor«, sagte er. »Er muß hier sein.« Und er grub im Heu, riß es auseinander und scharrte auf dem Boden, bis der Mann sagte: »In Ordnung, Nabo. Wenn du erst zum Chor kommen kannst, nachdem du den Kamm gefunden hast, dann suche ihn eben.« Dabei beugte er sich vor, das Gesicht von geduldigem Hochmut verdunkelt. Er stützte die Hände auf das Gatter und sagte: »Los, Nabo. Ich werde dafür sorgen, daß dich keiner davon abhält.«
Und dann gab die Tür nach, und der riesige vertierte Neger mit der tiefen rauhen Narbe auf der Stirn - trotz der verstrichenen fünfzehn Jahre - kam heraus, über die Möbel stolpernd, hob drohend die Fäuste, an denen noch die Stricke hingen, mit denen man ihn vor fünfzehn Jahren festgebunden hatte - als er ein Negerbursche war, der die Pferde pflegte -; tobte in den Gängen, nachdem er mit der Schulter ungestüm die Tür zugeschlagen hatte, und stürzte - bevor er in den Hinterhof gelangte - an der Kleinen vorbei, die sitzenblieb, noch immer, seit der vergangenen Nacht, die Kurbel des Grammophons in der Hand - als sie die entfesselte schwarze Gewalt sah, erinnerte sie sich an etwas, was einmal Wort gewesen sein mußte -, und gelangte in den Hinterhof - bevor er den Stall fand -, nachdem er mit der Schulter den Wohnzimmerspiegel mitgerissen hatte, doch ohne die Kleine zu sehen - weder am Grammophon, noch im Spiegel -, und stand mit dem Gesicht zur Sonne, mit geschlossenen Augen, blind - während drinnen noch der zersplitterte Spiegel krachte -, und lief ziellos wie ein Pferd mit verbundenen Augen auf der Suche nach der Tür des Stalls, den fünfzehn Jahre des Eingesperrtseins aus seinem Gedächtnis, aber nicht aus seinen Instinkten getilgt hatten - seit jenem fernen Tag, an dem er dem Pferd den Schweif gekämmt hatte und fürs ganze Leben verblödet worden war -, und wie ein Stier mit verbundenen Augen in einem Zimmer voller Lampen Verwüstung hinter sich lassend, Verhängnis und Wirrsal, gelangte er schließlich in den Hinterhof - noch immer ohne den Stall zu finden - und scharrte über den Boden mit dem wütenden Ungestüm, mit dem er den Spiegel umgerissen hatte, vielleicht mit der Vorstellung, daß beim Aufwühlen des Heus der Geruch von Stutenurin wieder aufsteigen würde, bevor er an die Türen des Pferdestalls gelangte - er selber jetzt stärker als seine eigene wilde Kraft - und sie zu früh auf stieß und drinnen aufs Gesicht fiel, vielleicht im Todeskampf, aber noch betäubt von jener wilden Vertiertheit, die ihm vor einer halben Sekunde verwehrt hatte, die Kleine zu hören, welche die Kurbel hob, als sie ihn vorbeistürzen sah und sich sabbelnd erinnerte, doch ohne sich von ihrem
Weitere Kostenlose Bücher