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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Weisband
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sinnvoll ist.
    Der Weg der Piraten ist aber nicht die einzige Möglichkeit, Liquid Democracy in die reale Politik zu integrieren. In Friesland wird LiquidFeedback in der Kommunalpolitik eingesetzt, und zwar offen für alle Bürger. Obwohl die Software ursprünglich für den Betrieb innerhalb von Parteien oder Organisationen geplant war, experimentiert man also damit, direkte Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Interessant wird das besonders, wenn wir irgendwann Plattformen entwickeln, die auch mit begrenzten finanziellen Mitteln funktionieren. Es gab durchaus auch mal die Idee, LiquidFeedback innerhalb von Parlamenten einzusetzen, nur für die Parlamentsmitglieder. Dort würde die liquide Demokratie die Fraktionsstrukturen aufbrechen und möglicherweise eine konstruktivere Zusammenarbeit der Koalitions- mit den Oppositionsparteien ermöglichen.
    Was auch immer das Ziel ist – liquide demokratische Systeme müssen ausprobiert werden. Und zwar müssen sie in einer Umgebung ausprobiert werden, in der sie tatsächlich Entscheidungen beeinflussen. Im Gegensatz zu spielenden Kindern macht es für Erwachsene nämlich meisteinen unglaublich großen Unterschied, ob es tatsächlich um etwas geht oder nicht.
    Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die die unklare Grenze zwischen »Bürger« und »Politiker« markieren und die im Rahmen von Liquid Democracy, wo jeder ein bisschen Politiker ist, relevant werden. Ohne Liquid-Feedback wären wir auf diese Probleme gar nicht gestoßen. Es macht zum Beispiel vielen Piraten zu schaffen, dass es auf LiquidFeedback sogenannte »Superdelegierte« gibt, auf die so viele Stimmen delegiert wurden, dass sie allein mit ihrer Stimme eine neue Initiative über das Quorum von 10 % heben können. Diese Machtansammlung wird von vielen skeptisch betrachtet. Dem muss ich entgegensetzen, dass diese Menschen nur so lange Macht auf sich versammelt haben, wie sie aus Sicht der Delegierenden gute Arbeit machen. Diese Machtkonzentration ist ein instabiler Zustand, der allein vom Willen der einzelnen Mitglieder abhängt. Wenn alle gerade wollen, dass diese bestimmte Person etwas entscheidet, dann wird sie das auch tun. Das ist die ganze Idee hinter liquider Demokratie. Hier Menschen Machtkonzentration zu unterstellen übergeht den Willen aller, die ihre Stimme delegiert haben. Wir haben sogar beobachtet, dass »Superdelegierte« selten mit vielen Stimmen abstimmen. Kurz vor der tatsächlichen Abstimmung entscheiden sich oft zwei oder drei der Delegierenden, die manchmal selbst Dutzende von Stimmen auf sich vereinen, selbst abzustimmen. Dadurch zerfallen die scheinbar eindeutigen Machtverhältnisse dynamisch. Das ist genau, was wir wollen.
    Ein anderer großer Streit betrifft die Identifizierbarkeitder Teilnehmer. Das Problem ist, dass LiquidFeedback über Computer und das Internet funktioniert und wie alle Computersysteme prinzipiell angreifbar und manipulierbar ist. Geheime Wahlen und Abstimmungen kommen deshalb mit LiquidFeedback grundsätzlich nicht infrage. Es wäre nicht einmal möglich zu überprüfen, ob eine Manipulation stattgefunden hat. Alle Abstimmungen im System sind offen und für alle Nutzer nachvollziehbar. Jedes Mitglied muss im Nachhinein zu seinen Abstimmungsentscheidungen stehen. Im Sinne der politischen Verantwortlichkeit gibt es die Forderung, die Nachvollziehbarkeit unter anderem auf die Angabe des bürgerlichen Namens auszudehnen und so die Identifizierbarkeit aller Teilnehmer zu ermöglichen. Ein LiquidFeedback mit echten Namen wäre transparent und überprüfbar genug, um wirklich verlässliche Ergebnisse zu produzieren und damit verbindliche Entscheidungen zu treffen. Die Argumentation ist: »Du nimmst Einfluss auf die Politik, also bist du Politiker. Als solcher bist du der Transparenz verpflichtet.« Dem steht das Argument entgegen, dass Bürger keineswegs schon Politiker sind, wenn sie irgendeinen Einfluss ausüben. Politische Positionen dürfen nicht per se (zum Beispiel durch den Arbeitgeber) abrufbar sein. Wahlen sind schließlich auch nicht ohne Grund geheim. Das LiquidFeedback-System der Piratenpartei funktioniert deshalb mit Pseudonymen, die über einen komplizierten Prozess geschützt werden. Die Pseudonyme haben den Vorteil, dass die Nutzer selbst entscheiden können, ob sie sich zu erkennen geben oder nicht. Wer möchte, benutzt einfach seinen echten Namen als Pseudonym. Wer lieberin der Deckung bleiben will, verwendet einen Phantasienamen. Die Teilnahme an

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