Wir nennen es Politik
von einem eigenen Büro mit Mitarbeitern nachgehangen.
»Wie?«, fragt sie nach.
»Naja, wir machen keinen Pressespiegel. Wir sagen halt Dinge, wenn wir gefragt werden. Vermutlich sind wir deshalb auch so scheiße in Agendasetting. Aber so ne professionelle Struktur ist bei uns halt einfach nicht drin. Ich habe meine Sachen und Termine und so was die meiste Zeit alleine gemacht, dann hatte ich zwei ehrenamtliche Assistenten. Und ich musste mir die wichtigen Themen des Tages immer erst anlesen, falls ich danach gefragt wurde. War ziemlich chaotisch.«
Anna notiert wieder.
Ich erzähle ihr, was wir in Zukunft so vorhaben. Dass wir keinen klassischen Wahlkampf machen werden, weil unser Budget dafür im Wesentlichen der Schweiß vieler fleißiger Helfer sein wird. Ich sage, dass es uns auch am Herzen liegt, andere Parteien zu verändern. Sie wirkt am Ende interessiert und zufrieden.
Als ich das Café verlasse, laufe ich die Spree entlang und telefoniere mit Rebekka, die mir ehrenamtlich hilft, täglich Hunderte von E-Mails zu sortieren.
»Dir ist klar, dass sie dich vermutlich aushorchen wollte für den Wahlkampf gegen uns«, fragt sie nach meiner Schilderung des Treffens.
»Ja, das ist mir klar«, antworte ich.
»Und was hast du ihr erzählt?«
»Na, alles. Alles, was ich weiß, jedenfalls. Ich glaube nicht, dass man das irgendwie benutzen kann, um uns zu schaden. Es gab ja nur zwei Möglichkeiten. Geheimagent spielen und unsere Ideen hüten – oder das tun, was wir tun wollten, seit diese Partei gegründet wurde. Wissen teilen. Ich hatte schon das Gefühl, dass sie in ihrer Partei auch was ändern will. Ist doch gut, wenn sie das kann, indem sie neue Gedanken einstreut. Wenn die grauen Männer dann in ihren Reden plötzlich von Plattformneutralität reden – ist doch cool.«
»Du meinst also, die Profis sollen uns helfen unsere Themen zu setzen?«
»Ja, so ungefähr.« Ich denke einen Moment nach. »Wenn man dasselbe Ziel hat, ist es besser, möglichst viel Information auszutauschen. Also, wenn wir irgendwie Dinge modernisieren wollen, und die auch, dann muss doch nicht jeder das Fahrrad neu erfinden.«
Ich überlege, ob ich recht habe. In dieser Zeit laufe ich auf meinem Weg zum Bahnhof am Reichstag vorbei. Ich betrachte das Gebäude und denke mir – darin wird genug getuschelt. Und wenn man was ändern will, dann besser bei sich anfangen.Das Stichwort Transparenz hat mittlerweile seinen Weg ins Vokabular aller Parteien gefunden. Wie genau wir es mit Inhalt füllen, ist eine noch laufende Debatte, die ich in Teilen bereits beantworten kann, in Teilen noch nicht. Aber beginnen wir mit dem logischen Anfang. Woraus ergibt sich überhaupt die Forderung nach Nachvollziehbarkeit? Es gibt zwei völlig verschiedene Gründe. Der erste Grund für Transparenz hat gar nichts damit zu tun, ob sie sinnvoll ist oder nicht. Es ist ein moralischer Anspruch, der der einfachen Logik folgt: »Nichts von dem, was im Namen des Bürgers geschieht, darf dem Bürger im Normalfall vorenthalten werden.« Dieser moralische Anspruch an transparente Arbeit unserer Repräsentanten ist so wenig von pragmatischem Denken getrieben wie die Menschenrechte. Das Gute ist aber, dass Nachvollziehbarkeit durchaus völlig pragmatische Gründe hat, die die politische Arbeit produktiver und besser machen.
Über den pragmatischen Teil von Transparenz lässt sich Folgendes in aller Knappheit sagen: »Transparenz erhöht die Produktivität immer dann, wenn gemeinsame Interessen vorliegen.«
Wenn zum Beispiel ein Team gemeinsam Quizfragen beantwortet, dann ist es für die Selbstorganisation der Beteiligten wichtig zu wissen, wer sich auf welchem Gebiet auskennt. Sie machen nichts doppelt, können sich absprechen und erhöhen so durch Nachvollziehbarkeit ihre Produktivität. Wenn sie die Fragen in einem Wettbewerb gegen ein anderes Team beantworten müssen, dann verbergen sie ihr Wissen vor dem gegnerischen Team, weil es andernfalls ihrem Interesse zu gewinnen widerspräche.
Natürlich gibt es in der Politik nicht immer ein gemeinsames Interesse. Es gibt nicht immer den einen »Volkswillen«, sondern wir sind in einem ständigen Diskurs zwischen verschiedenen Interessen, die teilweise widersprüchlich sind und trotzdem alle vertreten sein wollen. Wie soll uns Transparenz da helfen können?
Nun, unser erstes gemeinsames Interesse besteht darin, genau diesen Diskurs unter fairen Regeln aufrechtzuerhalten. Das ist ein Projekt, dem alle Parteien sich
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