Wir nennen es Politik
Wer trägt die Verantwortung? Wie kontrollieren wir, dass das System nicht manipuliert wird? Trotzdem ist Liquid Democracy eine spannende und zukunftsweisende Idee, die die repräsentative Demokratie zumindest gut ergänzen kann. Wenn wir liquide Systeme entwickeln und benutzen wollen, hilft es leider nicht allein, sich kluge Gedanken zumachen. Wahrscheinlich sollten wir einfach ausprobieren, was wir haben, und die Konzepte langsam verfeinern und weiterentwickeln. Oft hilft es, mutig zu sein, nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen und zu schauen, was passiert. Dann bauen wir nicht nur neue Netze, sondern wir lernen im selben Zug auch etwas über sie. Wir wären also Politiker und Wissenschaftler in einer Person.
Die Piratenpartei ist eine der Organisationen, die intern alternative Demokratieformen ausprobiert und weiterentwickelt. Wir hoffen, damit der Demokratie an sich einen Dienst zu erweisen. Zurzeit verwenden wir die Software »LiquidFeedback«, um Liquid Democracy umzusetzen und mit Ideen zu spielen. LiquidFeedback entstand ursprünglich im Umfeld der Piratenpartei Berlin und wurde von dieser zuerst verwendet. Das Projekt hat sich inzwischen von der Partei gelöst und wird von der politisch neutralen Public Software Group weiterentwickelt. Innerhalb der Partei gibt es mehrere Gruppen, die daran arbeiten, das System zu verbessern und Programme zu schreiben, die mit LiquidFeedback direkt zusammenwirken.
LiquidFeedback ist ein Werkzeug zur gemeinsamen Verbesserung und Bewertung von Texten. Für Anwender ist es einfach eine Website, auf der man sich einloggt und dann Zugriff auf alle Texte und Abstimmungen hat. Zur besseren Übersicht sind die Inhalte in verschiedene Themenbereiche wie zum Beispiel »Außenpolitik« oder »Kinder, Jugend, Familie und Bildung« gegliedert. Bei unserem parteiinternen System sind alle Parteimitglieder antragsund stimmberechtigt. Den Benutzern steht es frei, unterihrer tatsächlichen Identität aufzutreten oder einen beliebigen Nickname zu verwenden. Dies kann zum Beispiel sinnvoll sein, wenn man Angst hat, von anderen beeinflusst oder wegen seiner politischen Einstellungen benachteiligt zu werden. Ganz im Sinne der Liquid Democracy ist es immer möglich, die eigene Stimme global oder für bestimmte Themen weiterzugeben.
Ich möchte zum Beispiel, dass wir uns ins Parteiprogramm auf Landesebene schreiben, dass neben Lehrern auch Sozialpädagogen an Schulen eingestellt werden, damit diese sich um die nicht fachbezogenen Probleme der Kinder kümmern können. Ich schreibe dazu einen Antrag, in dem ich umreiße, wie hoch gerade der Anteil des nicht lehrenden Personals an Schulen ist und mit welcher Doppelbelastung Lehrer konfrontiert sind, weil sie, statt bloß Mathe zu unterrichten, auch darauf achten müssen, ob Timmy gemobbt wird. Mein Antrag ist eine Initiative, der ich einen beliebigen Titel geben kann, zum Beispiel »Sozialpädagogen an Schulen«. Die Initiative ordne ich dem Themenbereich »Kinder, Jugend, Familie und Bildung« zu. Dort erscheint sie zunächst in einer langen Liste mit anderen neuen Initiativen. Bevor es weitergeht, müssen mich mindestens 10 % der im Themenbereich angemeldeten Benutzer unterstützen. Dadurch wird deutlich, dass meine Idee eine gewisse Relevanz hat. Dieses Quorum funktioniert als Filter für allen möglichen Quatsch, den man mit dem System betreiben könnte. So werden wir nicht von Abstimmungen überflutet. Wenn sich mehr als 10 % aller Bildungsinteressierten für mein Thema interessieren, kommt es in eine längere Diskussionsphase.Jetzt können die anderen Mitglieder meinen Vorschlag bewerten, Anregungen machen, die Anregungen anderer bewerten und wenn nötig selbst einen konkurrierenden Vorschlag schreiben. Olga schreibt zum Beispiel die Anregung: »Dein Vorschlag ist gut, aber du musst hineinschreiben, aus welchem Topf du die Sozialpädagogen finanzieren möchtest«. Jeder kann nun klicken, ob Olgas Vorschlag aus seiner Sicht umgesetzt werden soll oder nicht. Ich kann meine Initiative dann ändern und eine Passage zur Finanzierung einfügen. Tim hat die Anregung geschrieben, dass die Sozialpädagogen nur Frauen sein dürfen, weil Frauen das besser könnten. Zu dieser Anregung haben ganz viele geklickt, dass sie nicht umgesetzt werden soll, weil sie schlecht ist. Ich beachte sie einfach nicht weiter. Bernard ist mit meiner Initiative so wenig einverstanden, dass er erst gar keine Anregung schreibt. Er formuliert direkt eine
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