Wir neuen Großvaeter
mich, meine schauspielerischen Talente einzusetzen: Ich raufte mir die Haare, ging vor meinem Vater auf die Knie, ja es gelang mir sogar, ein paar Tränen aus den Augenwinkeln zu quetschen. Meiner Mutter brach dieser Auftritt fast das Herz. Und mit ihr an der Seite gelang es uns schlieÃlich, Vater die benötigten Groschen zu entlocken.
Noch im Zugabteil betrachtete ich die bunten Bilder, las die dazugehörigen Geschichten und fand dabei Freunde fürs Leben: Donald Duck, seine Gespielin Daisy und die munteren Knaben Tick, Trick und Track.
Es war das allererste Micky-Maus-Heft in deutscher Sprache, das â mit Fettflecken versehen und total zerfleddert â bis zum heutigen Tag meine Bibliothek ziert.
Neben Goethes Faust haben Disneys muntere Rangen zum Verständnis der Welt und meines ureigenen Universums erstaunlich viel beigetragen. Micky Maus war mein Erweckungserlebnis.
Inzwischen gebe ich meine Erfahrungen mit dem Comic-Kosmos an meine Enkel weiter. In den Fünfzigern gehörten Hefte wie die Micky Maus zur Schmutz â und Schundliteratur. So jedenfalls haben all die Lehrer und Eltern über unsere Lieblingslektüre geurteilt, die eigentlich keine Ahnung hatten. SchlieÃlich konnten wir ja mit einer Frau als Chefredakteurin der Micky Maus protzen, die nicht nur Abitur gemacht, sondern auch den Doktor hatte: Erika Fuchs schuf für Entenhausen und Umgebung ein bisher nie gekanntes Sprachkonzept. So wie Luther die Bibel neu übersetzte, so schenkte Erika Fuchs dem Disney-Kosmos eine neue Wirklichkeit. »Sie brachte nicht nur Farbe und Witz in die Nachkriegszimmer,
sondern bewirkte wahrscheinlich mehr für die deutsche Sprachkultur als viele hoch dekorierte PEN- Mitglieder«, schreibt Ernst Horst in seinem Buch Nur keine Sentimentalitäten!
Gelesen wurde Micky Maus von den künftigen Intellektuellen der jungen Bundesrepublik, die sich bis heute stolz »Donaldisten« nennen und damit einem Geheimbund angehören, der so geheim ist, dass er gar nicht existiert.
Ich vermute, dass in der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Donaldisten sitzen müssen. Wenn dort ein Artikel über Krisen an der Wall Street mit der Ãberschrift versehen wird: »Es hört sich an wie fernes Donnergrollen«, so ist dies ein Zitat der »Panzerknacker« im Angesicht des berstenden Geldspeichers von Onkel Dagobert. Auch im Feuilleton der FAZ müssen sich Donaldisten verbergen, die eine Fotozeile zum Bühnenabschied von Bob Dylan mit einer Aussage von Donald Duck versahen: »Und lieg ich dereinst auf der Bahre, dann denkt an meine Gitarre.«
Als der TV-Literaturkritiker Denis Scheck gefragt wurde, welche Werke ein Mensch denn unbedingt in seinem Leben gelesen haben sollte, antwortete er: » Die Odyssee von Homer, alles von Shakespeare und die von Erika Fuchs übersetzten Donald-Duck-Geschichten.«
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Zu den gröÃten Freuden von Ferdinand, Leo und Max gehören jene Momente, da ich ihnen die frühen Donald-Abenteuer vorlese. Die Buben erfahren dabei viel über die Mechanismen der Marktwirtschaft, wenn zum Beispiel ein Tornado die Milliarden von Onkel Dagobert übers Land verteilt, jeder Bewohner
plötzlich zum Millionär wird und nicht mehr arbeiten muss. Und wie Dagobert es schlieÃlich anstellt, wieder an seinen Zaster zu kommen.
»Würden Sie die Güte haben, meinen Hut einen Moment zu halten?« formuliert Daniel Düsentrieb (»Dem Ingenieur ist nichts zu schwör«). »Das aber ist fatal«, meint Dagobert. Und prompt erfahren die Enkel ein neues Wort, das ihren Sprachschatz bereichert.
Gemessen an der Sprachgewalt der frühen Micky-Maus -Hefte können wir heute getrost von einer allgemeinen Spracharmut im Lande sprechen.
Die deutsche Sprache ist eine der vielseitigsten der Welt. Begriffe wie »Heimweh« oder »Habseligkeiten« finden sich anderswo nicht und sind auch bei uns leider fast aus der Mode gekommen. Beim Donald der frühen Jahre tauchen sie wieder auf, zusammen mit »Schmarotzer« (Schimpfwort für Gustav Gans) oder »Schnorrer« (für denselben). Auch Alttestamentarisches ist Donald nicht fremd. Wenn ihn zum Beispiel ein kleines Mädchen bittet, ihre unter eine Dampfwalze geratene Puppe hervorzuholen, sagt er ratlos: »Das könnte höchstens der Riese Goliath.«
Donald beschimpft seine Neffen als »Faulpelze«, kennt kein »Erbarmen« mit
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