Wir schaffen es gemeinsam
Salatöl, das mir die Mutter reichte, goß ich etwas über das Bein. Dann umwickelte ich es mit dem Handtuch. „Beschaffen Sie sofort Brandsalbe, aber ganz schnell. Und Mullbinden. Beeilen Sie sich. Ich halte das Kind solange.“
An der Ecke war eine Apotheke. Und die Mutter hatte flinke Beine. Aber so lang ist mir die Zeit noch nie geworden wie in diesen Minuten mit dem kleinen, schreienden Wesen in den Armen; es hatte zu allem Unglück noch furchtbare Angst vor mir bekommen, es glaubte sicher, ich würde ihm noch mehr weh tun. Dann kam die Salbe. Ich bestrich den Mull mit einer dicken Schicht und legte ihn auf die verbrühte Stelle, so wie Doktor Steneng es bei der Milchfrau getan hatte. Außen herum eine Mullbinde. Erst lange Zeit später erfuhr ich, daß man Mullbinden von unten nach oben wickeln muß, damit der Verband hält. Ich machte es also richtig, ohne es zu ahnen. Ich hatte nie in meinem Leben einen Verband angelegt, aber mein gesunder Menschenverstand oder eine Art Instinkt leiteten mich. Die Brandsalbe linderte die Schmerzen sehr schnell. Das Schreien klang nicht mehr so verzweifelt. Bald ging es in leises Wimmern über. Dann hörte auch das Wimmern auf, die Kleine saß jetzt auf meinem Schoß und sah mich mit großen, rotverweinten Augen an.
„Es wird ganz schnell wieder gut sein, Ginchen“, flüsterte ich. „Und dann kannst du hinterher allen Kindern auf der Straße zeigen, wo du dich verbrüht hast. Da werden die aber staunen!“ Die Augen des Kindes wurden noch größer.
„Die Kinder auf der Straße haben sich nicht verbrüht, nicht wahr?“ fragte es. Dann kam ein kleiner, schluchzender Seufzer. Es wandte den Kopf und blickte zu der Mutter hin.
„Mutti, krieg ich ein Dreirad?“
Ginchen, Ginchen, du hast genau gewußt, daß deine Mutter dir gerade jetzt nichts abschlagen konnte! Es war die genialste Ausnutzung einer Situation, die ich je miterlebt hatte. Es war übrigens merkwürdig, daß die Mutter das Komische, das darin lag, gar nicht durchschaute. Sie war so überglücklich, daß sie sofort antwortete: „Ja, mein Schatz, du kriegst morgen ein Dreirad“ – und sicher bemerkte auch nur ich allein den kleinen Triumph in den verweinten Augen des Kindes.
Mit der Schokolade war es nun nichts mehr, statt dessen saß ich mit Ginchens Mutter zusammen bei Tee und Kuchen, nachdem der kleine Pechvogel auf der Couch eingeschlummert war, sicherlich von Dreirädern und großen, imposanten Brandnarben süß träumend. Die Mutter war so dankbar, daß ich ganz verlegen wurde. Sie fragte, was sie als Dank für mich tun könne, denn wenn ich nicht gewesen wäre…!
„Dann wäre es vermutlich gar nicht passiert“, wandte ich ein. „Denn Ginchen ging in die Küche, um nach einem Buch zu fragen, das sie mir zeigen wollte. Ich bin nur so froh, daß ich zufällig wußte, was man bei solchen Verbrühungen tun muß. Ich habe es zufällig beim Arzt gesehen.“
Die Mutter der Kleinen war gesprächig. Sie erzählte, daß sie noch ein Kind habe, einen Jungen von sieben, er sei im ersten Schuljahr. Heute sei letzter Schultag, übermorgen wollte die Familie ins Gebirge fahren. Ihr Mann wollte auch jetzt Urlaub nehmen, und wenn er Ende Juli wieder nach Hause käme, könne ich die Pflanzen wiederbringen. Dann wollten die Mutter, Ginchen und Peter noch an die See gehen. Irgendwo im südlichen Norwegen in ein Strandhotel. „Ich habe nicht die Kraft, ohne Mädchen da oben in der Fjällhütte zu bleiben, und das Mädchen muß ja in die Stadt zurück und für meinen Mann sorgen – es macht schon Mühe genug, mit den Kindern vierzehn Tage allein an der See zu sein, aber da hat man wenigstens nichts mit dem Haushalt zu tun. Im vorigen Jahr hatte ich ein Kindermädchen mit, aber dies Jahr wollte ich so auskommen.“
„Das ist aber schade“, lachte ich. „Ich hätte mich sonst gern um die Stellung eines Ferienkindermädchens bei Ihnen beworben.“
Natürlich sagte ich es im Scherz, sagte es so hin, weil man ja irgend etwas antworten muß, aber Frau Wimmer stellte die Teetasse mit einem Ruck aus der Hand und sah mich an.
„Ist das Ihr Ernst – würden Sie das tun?“
„Ja… das heißt… natürlich würde ich das tun. Aber Sie wollen ja dies Jahr keine Hilfe mitnehmen…“
„Aber wenn Sie Lust hätten, doch… Freie Reise und freien Aufenthalt und etwas Taschengeld. Sie haben ja gesehen, wie ich dastehe, wenn einem Kind etwas zustößt; ich gerate völlig aus der Fassung. Dann kommt noch hinzu… ja, es
Weitere Kostenlose Bücher