Wir schaffen es gemeinsam
fragte ich verwundert.
„Hm… ja, das heißt… ich habe natürlich nicht gehorcht, aber ich konnte nicht umhin zu hören, daß man Sie auch fragen wollte… aber da zog ich Sie wohl gerade mit in den nächsten Saal hinüber, und… hören Sie, Sie brauchen doch nur zu sagen, Sie hätten meine Einladung schon angenommen?“
O ja. In meiner Seele war kein Zweifel, daß ich das tun könnte.
Wir saßen in einem guten und stillen kleinen Restaurant ohne Musik. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mir ein Gemisch von Kassler und Griegs „Frühling“ vorsetzt, oder einen Mixed grill, bestehend aus Rehkeule und Chopins „Preludes“, ich kann mich auch durchaus nicht damit abfinden, ein Eis Melba im Mund zu haben und „Waldesrauschen“ in den Ohren. Jedes Ding zu seiner Zeit! Und dann tun mir immer die Musiker so leid, die dastehen und dasitzen und auf den Instrumenten herumhämmern und herumstreichen, und was sie hervorbringen, sind nichts weiter als Störungsgeräusche mitten in der Unterhaltung.
Möglich, daß sie einem gar nicht leid zu tun brauchen. Ist man ein paar Jahre Kaffeehausmusiker gewesen, dann wird man sicher gegen Empfindungen dieser Art immun. Da wird schließlich das Musikmachen zum reinen Broterwerb, und folglich ist es kein Genuß, das anzuhören.
Das Essen war vorzüglich, und es tat ungemein gut, einmal etwas zu essen, was man nicht selber zubereitet hatte.
„Ich sah gestern Ihre Anzeige in der Zeitung“, sagte Steneng. „So werden also wohl morgen die Mütter mit ihren Minderjährigen anrücken?“
„Ich gebe mich keinen Illusionen hin“, sagte ich. „Allerdings ist immer alles geglückt, was ich bisher angefaßt habe, aber trotzdem… auch solches Glück hat wohl seine Grenzen.“
„Ach, wissen Sie, wenn Sie nur für den Anfang fünf oder sechs Kinder bekommen, dann geht es sicher. Sie müssen sie besonders gut behandeln, dann fordern sie einfach, daß sie wieder zu Ihnen kommen dürfen.“
„Aber Herr Doktor, Sie reden, als ob ich ausschließlich daran dächte, Geschäfte zu machen. Meinen Sie, ich könnte nicht auch die Würmer besonders gut’ behandeln, ganz einfach, weil ich Kinder so gern habe?“
„Nichts für ungut! Daran zweifle ich nicht einen Augenblick. Kam es durch die Kinder, bei denen Sie im Sommer gewesen sind, daß Sie solch einen Gefallen daran gefunden haben?“
„Ja, Sie können sich gar nicht denken, wie bezaubernd die Kinder waren. Ich würde gern in der Arbeit geblieben sein, aber…“
„Wo war denn das?“
„Bei einer Frau Wimmer. Wir waren alle zusammen im Strandhotel Bakkelund, das damals niederbrannte.“
„Ach ja, jetzt entsinne ich mich, ich las von dem Brand.“ Plötzlich drehte er sich jäh ganz zu mir um. „Das soll doch nicht etwa heißen, daß Sie bei dem Feuer dabei waren?“
„Doch, allerdings!“
„Und das haben Sie mir nie erzählt?“ (Was sollte diese Bemerkung? War ich vielleicht verpflichtet, Dr. Steneng alle meine Erlebnisse zu erzählen?)
„War das nicht da, wo eine Frau so unglaublich geistesgegenwärtig gewesen war, mitten in Rauch und Flammen Leinenstreifen zu einem Tau zusammenzuknoten? Mir schwant, daß ich so etwas gelesen habe. Man liest von so vielen Unglücken, daß man sich einzelne Ereignisse nicht auseinanderhalten kann.“
Ich lachte. „O ja, es war genau dort. Ob die Frau so geistesgegenwärtig war, weiß ich nicht. Ich glaube, es war der reinste, nackteste Selbsterhaltungstrieb, der mir befahl, dies Lakentau zu knoten. Ja… ich war nämlich diejenige, welche… wissen Sie…“
Ich bekam fast einen Schreck, als ich das gesagt hatte. Denn Dr. Steneng ließ Messer und Gabel fallen und wurde ebenso weiß im Gesicht wie die erwähnten Leinenstreifen.
„Ich hätte es mir ja denken können“, sagte er leise und rauh. „Niemand anderes als Sie konnten das gewesen sein.“ Plötzlich ergriff er meine Hand und preßte sie. „Gott im Himmel, es ist also das reinste Wunder, daß ich Sie leibhaftig hier vor mir sitzen habe!“
… daß ich Sie sitzen habe – dies Gefühl des Besitzes, das er mit diesen Worten ausdrückte, lenkte meine Gedanken auf das Damenbildnis auf dem Nachttisch. Darum löste ich meine Hand aus der seinen und setzte ein Lächeln auf, das ich für durchaus echt hielt: „Ach was, das ist doch nicht der Rede wert. Diese Tournedos sind übrigens köstlich. Und es ist eine Ewigkeit her, seit ich zuletzt Champignons gegessen habe.“
Er nahm die Platte und füllte mir den Rest der
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