Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
bestechlichen Hunde, sie verloren, sie flohen erneut, sie wurden in Paris interniert, kamen hierher, und dann … ach, es ist zu viel, zu viel zu erzählen, ich weiß nicht, woansetzen, wo beginnen … kurz und gut, sie alle haben hier eine Zeit verbracht, und sie alle wurden von hier wieder fortgebracht. Auch den Diener Toussaints, Mars Plaisir, hat man bald woanders hingebracht, soweit ich weiß, nach Nantes.
Was für ein Name,
Mars Plaisir!
Wozu? Warum? Wann? will Heinrich aufgeregt wissen, all diese Namen, all diese Fraktionen, Verbündungen und Hin und Her, er muss alles in Erfahrung bringen, alle Einzelheiten, wo soll er nur anfangen, auf die Schnelle? Die Stunde des Spaziergangs ist gleich zu Ende! Woher Émile wohl seine Bildung bekam? Wer waren die Kinas? Wie genau waren all diese Kämpfe verlaufen? Hatte Toussaint also für die französische Republik gekämpft und war dann von ihr selbst wieder verfolgt worden? Fragen über Fragen. Der Wind peitscht ihnen ins Gesicht, er beißt die Haut durch die Kleider hindurch, aber Heinrich achtet nicht darauf. Warum hat man alle voneinander getrennt? Warum durften sie voneinander nichts wissen?
Ich weiß es nicht, sagt Émile und zuckt die Achseln. Allmählich löst sich ihm die Zunge, die Worte drängen ihm über die Lippen, selig hängt er an diesem zuhörenden Gesicht, das ihn ansieht, voll Mitgefühl und Neugier.
Um ihn zu schikanieren, sagt er. Toussaint sollte nichts von den anderen wissen. Vielleicht hatten sie Angst, sie würden sich alle gegenseitig umbringen, vielleicht hatten sie Angst, sie würden sich am Ende wieder zusammenraufen. Vielleicht einfach, weil … weil man uns hasste und immer noch hasst. Alles, was mit
Ayiti
zusammenhängt, ist den Franzosen ein Gräuel. Man hat eine große Angst vor uns – er grinst und macht einen kehlig übertriebenenLaut – schwarzen Männern.
Les nègres.
Sie glaubten wohl, wir könnten hier im Gefängnis eine Revolte aushecken, sie glaubten, wir könnten durch die sieben Meter dicken Mauern miteinander sprechen, in Gedanken, sie glaubten, dass wir alle Hexenkünstler wären, die sich aufs Gift verstehen. Sie glaubten womöglich, eine Hand voll Rebellen könnte das Land in die Katastrophe stürzen! Was für ein übertriebener Gedanke! Nur mich allein hat man hier gelassen, ich allein vermag ja nichts, ich habe keinerlei Bedeutung – mich … mich hat man wohl – er zaudert, er schluckt schwer –, man hat mich wohl vergessen.
Émile Liberté stockt die Stimme. Tiefe Traurigkeit tritt in sein armes, gemartertes Gesicht. Heinrich vergisst die Kälte und sieht den Mann mit aufgerissenen, konzentrierten Augen an. Erzähl weiter, sagt er, erzähl! In seinem Kopf rattert es, die Worte des Mannes springen in Bilder über, sofort.
Er selbst, sagt Émile, habe aus Gründen überlebt, die ihm selbst wie ein Wunder erschienen. Doch sinnlos sei sein Leben,
sans espoir
, ohne Hoffnung und ohne Sinn.
Heinrich betrachtet den Erzählenden, dessen schwermütige Augen immerhin ein wenig aufleuchten, während er spricht. Er betrachtet seine beweglichen Lippen, die voll sind und von der Winterluft spröde und aufgerissen wirken, die geraden weißen Zähne, die erstaunlich gesund aussehen. Die ausgetrocknete Haut ist von einem tiefen, braunen Schwarz, doch zugleich ein wenig wie ausgebleicht, als wäre sie unter einer anderen Sonne dunkler, glänzender und schöner.
Später, in Dresden, wird Heinrich nicht aufhören, anihn, Émile, zu denken, und in seinen Nächten wird die Farbe der Männer rabenschwarz, denkt er an die aufsässigen, kämpferischen Männer von
Sen Domeng
, die ihre Jahrhunderte alten Ketten abwerfen wollen, Männer, die sich gegenseitig
über die Klinge springen lassen
, sich mit List und Tücke bekriegen; und der fürchterliche Neger Congo Hoango wird auftauchen und ihn vom Lager zerren, bis er, Heinrich, die Geschichte zu schreiben beginnt, jene katastrophische Geschichte der Verlobung von Santo Domingo, die sich ereignete, zu Port-au-Prince, als die Weißen die Schwarzen erschlugen und umgekehrt, und die Mulatten die Schwarzen und umgekehrt noch dazu –
Eines Tages bittet Émile Liberté, ermutigt von seinem neuen Freund Henri de Kleist, den Kommandanten, zeichnen oder malen zu dürfen. Der Kommandant zeigt sich verdutzt: ein Sklave, der malen kann?
Heinrich legt ein Wort für ihn ein. Er erklärt dem Kommandanten, dass in der fernen Kolonie Ayiti, Saint Domingue, die Frankreich nicht nur
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