Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
durch halb Europa. Auf allen seinen Reisen nahm er diese Tasche mit, die er einst in der Schweiz erstanden hat, an der Aare,
une valise
, eine
Wa-Lise
, eine
Fell-Ise
, so hatte der Schuster mit seiner schnurrenden Stimme sie genannt. Felleisen? Ach so! Ich verstehe! Ichmuss meine Papiere verstauen können und ein paar Beinkleider, eine Flasche Rum oder Wein und ein Hemd, mehr brauche ich nicht, so hatte Heinrich es ihm erklärt. Es war auf seiner zweiten Reise in die Schweiz, bei der Ernst ihn begleitet hatte. Ernst hatte den Dienst nicht quittiert wie er; er hatte nur Urlaub genommen, um mit ihm zusammen zu sein.
Heinrich springt auf, nimmt die Tasche, setzt sich damit zurück an den Tisch, der nun wieder nackt und einfach glänzt, ohne Tischdecke und weibliches Geschmück, und packt eine Pistole aus und legt sie auf den Tisch, dann die zweite und die dritte. Zwei kleine handliche Terzerols und eine größere Schnapphahnpistole. Es sind die Waffen eines Ehrenmanns, denkt er. Soll keiner glauben, er wäre feige. Nur weil er nichts hielt vom Militär.
Die beiden kleinen legt er auf den Tisch, er riecht ein wenig Pulver und Blei, die andere betrachtet er. Der Name eines Mannes ist eingraviert, den er nur flüchtig gekannt, ein italienischer Offizier, Lazarius Comminazzo, der auf dem Felde fiel, er hat sie einem Dritten abgekauft. Ihren Holzschaft zieren Schnörkel und Blumen, ein arabisches Ornament, in Messing eingeritzt, der Knauf hat einen Beschlag aus Eisen. Ein schönes Ding ist das. Der Kolben ist eineinviertel Fuß lang. Heinrich wiegt die Waffe in der Hand, sie ist schwer, überzeugend schwer.
Hoffentlich werde ich nicht auferstehen, nach Benutzung dieses Werkzeugs, murmelt er,
nomen est omen
, wie der alte Lazarus. Er zieht ein weiches, benutztesTuch, Öl und Draht aus dem Felleisen und beginnt die Pistole zu putzen. Er murmelt weiter vor sich hin, wird lauter, spricht mit Nachdruck, zögert, dann lacht er auf, wird wieder leiser, unterbricht sich.
Ernst, mein lieber Freund, wie war es schön, mit dir so Tür an Tür zu leben! Zwei Zimmer, miteinander verbunden, zwei Welten, von einer Schwelle getrennt, die wir überquerten, hin und her, du zu mir und ich zu dir. Mit einem Freund zu leben, war mir das Liebste, und mit dir hielt ich es am besten aus. Hundert Mal hast du mir vorgeworfen, ich liefe fort beim kleinsten Zerwürfnis, und rennte gleich zu einem andern, dabei kam ich immer zurück zu dir. Die Feder liegt dort auf dem Tisch bereit, doch meine Gedanken verwirren sich zu Knäueln, wenn ich nur daran denke, das Wort an dich zu richten. Wie? Welche Worte? Mein lieber Freund, ich kann dir keinen Brief zum Abschied schreiben, ich konnte es bisher nicht, und ich werde es auch hier nicht tun. Was soll ich dir auch sagen? Du hast dich von mir entfernt. Es ist mir bitter. Glaube mir. Ich habe dir früher so viele Briefe geschrieben, doch in den letzten Wochen bist du mir abhanden gekommen als einer, an den ich meine Worte richten kann. Du denkst, ich hätte dich vergessen? Als wäre dies der einzige Grund, einem anderen nicht zu schreiben? Weit gefehlt, mein Lieber, weit gefehlt! Du hast mich verlassen, und nun bleibt mir nur die Erinnerung, so verhält es sich zwischen dir und mir.
Heinrich unterbricht das Putzen, er zieht mit geübter Geste eine Flasche aus dem Felleisen, seine Flasche mit Rum. Er dreht mit den Zähnen den Korken heraus,trinkt, zwei, drei Schluck, gierig und schnell, drückt den Korken wieder fest in die Flasche und schiebt sie zurück in die Tasche. Nimmt sich die Waffe wieder vor. Zieht den Draht durch den Lauf. Nimmt den Lappen. Haucht das Metall an und reibt es energisch.
Als wir am Thuner See ankamen, erinnerst du dich, konntest du es kaum erwarten, ins Wasser zu springen. Es zog dich an, als wärst du ein Fisch, ein Frosch, was weiß ich. Ich habe das nicht verstanden, aber deine Freude steckte mich an. Heraklit hätte dich kennenlernen sollen. Wie hat er gesagt:
panta rei
, alles fließt. Du steigst niemals in dasselbe Wasser. Richtig, richtig, aber du, bei dir war es umgekehrt, du warst nie derselbe, als der du hineingestiegen bist, wenn du hinauskamst. Du hast alles abgeschüttelt, du hast gestrahlt, deine Augen wurden übermütig. So sehr hast du die Bewegung im Wasser geliebt. Einmal habe ich am Ufer gewartet. Ich habe dir zugesehen, wie du dich entfernt hast, in deinen kräftigen Schwimmstößen, wie dein Kopf in das Wasser hineintauchte und wieder hoch kam.
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