Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Dann kamst du wieder zurück. Ich habe dich gesehen. Ich habe dich
an
gesehen. Du bist mit großen Schritten auf mich zugekommen, wie du deine Beine in das Wasser hineingeworfen hast, die Arme dazu schwenkend, voller Lebenslust, dann bist du einen Augenblick stehen geblieben und hast mich auch angesehen. Das Wasser glänzte auf deiner glatten Haut in der Sonne. Du bist rot geworden wie ein Mädchen. Hast deinen Blick gesenkt. Ich musste dir nichts sagen, Ernst, von meinem Verlangen. Du hast mich als deinen Freund geliebt, aber dich quälte nie dieses Verlangen.Ich kannte es. Frag nicht so dumm. Warum und wie es mich quälte. Zornig musste ich mit ansehen, dass du den Frauen dieses Lächeln geschenkt hast, nach dem ich mich sehnte, wie du ihnen beim Reden auf den Mund gesehen hast, wie sie rot wurden ihrerseits, wie sie begannen, in deinen Blick hineinzutänzeln, den Kopf neigend, ganz weich die eine, stolz und fragend die andere. Du hast gewusst, dass ich das sehe. Du hast es gewusst. Hätte ich mich auch so affig aufführen sollen? Tändeln, tänzeln, tanderadei? Ich will nicht klagen, ich durfte dich umarmen. Du hast mich in deinen Armen gewiegt. Manchmal gab ich vor zu weinen, nur damit du es tust. Verzeih mir, Ernst, du hast gedacht, ich hätte dich niemals getäuscht. Ich habe dich auch nicht getäuscht, in einem höheren Sinn, ich habe dir doch mein Verlangen gezeigt. Ich werde in wenigen Stunden diese Erde verlassen, mein lieber, lieber Freund, lass es mich einmal sagen, wie es war. Lass mich einmal denken, was alles nicht sein konnte! Ein schöner Brief wäre das, nicht wahr? Manchmal wusste ich, dass du so ähnlich fühlst wie ich, in kurzen Augenblicken, aber es durfte nicht sein. Und dann hast du mich verlassen, immer wieder. Auch als wir vor Berlin festgenommen wurden, als wir zusammen von Königsberg kamen, Albert, Franz und ich, und du dich kurz zuvor von uns getrennt hast, schlau, wie du warst, als hättest du es geahnt, trauerte ich dir hinterher. Im Gefängnis habe ich immerzu an dich gedacht. Ich habe die Penthesilea für dich geschrieben! Für dein
kriegerisches Gemüt
sollte sie sein. Und du? Doch, doch, du hast es verstanden. Als ich aus dem Gefängnis zurückkam und sie beendet habe und du mit mir gewohnt hast,in Dresden, Tür an Tür. Aber du musstest ja heiraten. Was für ein Stich! Und dann, als du verheiratet warst, wolltest du immer ganz schnell zu deiner Frau zurück, die dich vielleicht tot auf einem Schlachtfeld glaubte, oder verletzt, und du konntest es nicht erwarten, mit ihr einen Sohn zu zeugen, nicht wahr, es ist dein größter Wunsch, eine Reihe von Jungen, du hast ja erst zwei, ich beglückwünsche dich – als ließen sich die gelichteten Reihen unserer Soldaten mit deinen Söhnen wieder auffüllen –
Guten Abend, gute Nacht,
Mit Rosen bedacht,
Mit Näglein besteckt,
Schlupf unter die Deck;
Morgen früh, wenn Gott will,
Wirst du wieder geweckt.
Henriette summt. Henriette, hinter der verschlossenen Tür, die sie selber zugeschlagen hat, in ihrem Zimmer, zur selben Zeit, zwischen neun und zehn am Abend; sie hat den Korb auf den Tisch gestellt und sich auf das Bett gesetzt und leise geweint. Heinrich soll es nicht hören. Er soll es auf gar keinen Fall mitbekommen. Sie hat eine Weile so gesessen. Ihre Hände sind eiskalt. Sie legt sie auf das heiße Gesicht, auf die gereizten Augen. Ihr Taschentuch ist schon ganz nass. Was nun? Zwei der Leuchter, die sie vom Wirt erhalten haben, nach denen sie verlangt hatten, stehen bei ihr, werfen genug Licht in den Raum; draußen ist es zum Greifen dunkel. Die Dunkelheit mag sie nicht. Das Zimmer ist nicht behaglich. Roh ist es undungewohnt. Wenigstens ist es warm, der Diener hat eingeheizt. Ab und zu muss sie selbst ein Stück Holz nachlegen. Den Ärmel am Handgelenk vorsichtig halten, damit er kein Feuer fängt, und mit der Hand den groben Holzscheit in das Feuer schieben. Sehen, wie die Funken aufstieben, die Hitze spüren auf ihrer Haut, die Klappe wieder schließen.
Jetzt ist sie aufgestanden und geht im Zimmer auf und ab. Zum dritten Mal ordnet sie die Falten des weißen Kleides, das sie morgen Nachmittag tragen möchte, auf dem Bügel am Schrank, morgen Nachmittag am See. Sie hat es sich lange überlegt, welches Kleid sie für ihren Übertritt in ein anderes Leben anziehen möchte, wie sie gefunden werden möchte, wie sie vielleicht auf sich selbst noch einen Blick werfen möchte, wenn sie dann auf sich selber hinabblicken würde,
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