Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
wie bei ihm herausgekommen waren, sondern schrill und schief. Fast hätte sie das Instrument fallen gelassen, dann hatte sie geweint, Kindertränen mit viel Rotz, und mit düsterem Gesicht behauptet, es säße ein böser Dämon darin, der wolle nicht, dass sie spiele. Und Heinrich und Henriette hatten sich das Lachen verkneifen müssen über das Kind, und es trösten, und Heinrich hatte sich hingehockt, zu ihr, auf eine Höhe mit ihr, und hatte ihr gezeigt, wie man es richtig machte, mit den Lippen, der Zunge und dem Atem. Und er hatte ihr erzählt, wie lange er hatte üben müssen, um den bösen Geist in der Klarinette zu besiegen.
Pauline hatte nachdenklich zugehört. Und du denkst, ich kann das auch?
Natürlich kannst du es. Wo denkst du hin?
Und da war es Henriette gewesen, die weinen musste und ihr Gesicht ein wenig abwenden, damit das Kind es nicht sah, vor Rührung und Verzweiflung, dass sie nicht einfach immer so leben könnte, zusammen mit Heinrich und Pauline. Pauline, das geliebte Kind, und Heinrich –
Zu diesem Zeitpunkt waren sie sich schon nahegekommen.
Warte, ich zeige sie dir!
Heinrich, nicht groß, mit gedrungenen Schultern, einem runden, fast kindlichen Kopf, hin und wieder wie verwaschen im Ausdruck, dann wieder hellen, klaren Blicks aus seinen tiefblauen Augen, manchmal fast ein Hauch von etwas Türkis, die Augenbrauen kräftige Bögen, die schwarzen Locken ins Gesicht gestrichen, einen Kamm sahen sie wohl selten, mit kleinen, empfindlichen Händen; mal ganz ruhig und in sich zusammengesunken, mal von berückendem Charme, mal lebhaft springend, oder schroff, nicht gerade wie ein Mann von Welt.
Und Henriette?
Manche Leute sagten, Henriette sei nicht schön gewesen, andere wiederum lobten ihre artigen weiblichen Tugenden. Ihr Busen war üppig, die Haut sehr weiß, man konnte blaue Äderchen sehen, kam man ihr nahe. Ihr Gesicht hatte einige Narben, von den Blattern, die sie als Kind gehabt, doch ihre hellblauen Augen strahlten wie Sterne, wenn Sterne denn hellblau wären. Es war in ihr eine solche Sanftheit; sie erschrak über jedes heftige Wort, und vielleicht war es diese Sanftheit, die Heinrich sanft werden ließ, biegsam, gelassen, friedlich, denn sie verlangte nichts von ihm, sie stellte keine Forderungen, und wenn sie manchmal streng mit ihm sprach, so war es wie im Spiel.
Einmal allerdings, am Piano, hatte sich dieser sanfteEngel plötzlich zu ihm umgedreht, ihn durchdringend angeblickt und gefragt:
Hätten Sie das Herz, ich meine, brächten Sie den Mut auf – mich – und sie zeigte auf ihre Brust – zu erschießen?
Heinrich sah sie überrumpelt an. Schweiß brach ihm aus, er begann zu zittern.
Nein, murmelte sie, wie zu sich selbst, das kann nicht sein, einen solchen Mann gibt es nicht auf dieser Welt, und wandte sich wieder den Tasten zu. Heinrich machte eine verrutschte Bewegung neben ihr, griff fast grob nach ihrer rechten Hand, küsste sie sehr schnell und hingebungsvoll, bis zum Gelenk hinauf, Küsse, Küsse, und sah sie von unten, von ihrer kleinen Hand herauf, sehr sonderbar an, mit Tränen in den leuchtend blauen Augen. Doch dann, nach einer winzigen Sekunde, ruckte er hoch, saß kerzengerade, strahlte übers ganze Gesicht, und sagte, ganz leicht dahin, als wär es gar nichts, als wär es nur der Sommerwind:
Liebste, werteste, wunderbarste Freundin, erlauben Sie, ich bitte Sie, ich werde es Ihnen beweisen, ich bin ein solcher Mann. Ich bin Ihr Ritter. Ich erfülle Ihren Wunsch. Ich werde sie erschießen. Und dann mich.
Unsere Zeit hier
, so sagte Henriette manchmal. Abgemacht? Abgemacht.
Weißt du noch,
unsere Zeit hier
sei erfüllt mit den tiefsten Gesprächen, weißt du noch –
Wie ich dir erzählt habe, dass in meinem Taufeintrag drei Namen standen? Heinriette Sophie Adolphine. Geboren am 9. Mai 1780, getauft am 20. Mai, in der Luisenstädtischen Kirche. Ja, du hast es richtig gehört, Heinriette steht da, H-e-i-n. Und du bist Heinrich, H-e-i-n.Man rief mich Adolphine, oder Finchen, doch du sollst mich fortan Heinriette nennen, oder Henriette, wenn du magst. Auch Jettchen.
Du allein.
Wie kommt eine so sanftmütige, hübsche Person dazu, sich erschießen lassen zu wollen?
Die Pistole ans Herz setzen, sich den Brustkorb zerfetzen zu lassen. Es muss ein guter Schütze sein, nichts schrecklicher als die Vorstellung, er könnte es verhunzen, und eine siecht dahin und ist am Verbluten. Plötzlich muss es sein, blitzartig, wie eine
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