Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
den Bogen Papier. Sie tunkt die Feder noch einmal in das Tintenfass. Sie macht heftige Punkte. Die Tinte spritzt. Henriette erschrickt. Sie kritzelt böse auf das Blatt. Sie starrt vor sich hin, ihr Blick fällt auf das Kännchen. Diese vermaledeite Eifersucht. Wie sie ihn hasst, dass er sie dazu verdammt.
Ich glaube, du tust es mit Absicht, damit ich gehe, damit du dich danach umso heftiger sehnen kannst.
Sie schaut sich selbst kurz im Spiegel an, sieht ihr verzerrtes Gesicht, nimmt die Feder erneut auf. Tunkt sie in die Tinte. Schreibt, ohne nachzudenken, malt die Buchstaben in ihrer schönsten Schrift.
Ein Augenblick der Liebe – was will sie mehr, als ihre Vollendung, sie würde nur aufs Neue danach streben, und wer verspräche uns ein Mehr?
Sie starrt auf die Zeilen, verwundert. Was ihr alles durch den Kopf fällt neuerdings. Das sagt sich alles so leicht, auch das mit dem Kaffeekännchen und der Rache. Als ob es so einfach wäre!
Doch wie unglücklich hat sie all das gemacht! Misstrauen, Betrug und Heimlichkeiten, eine gescheiterteEhe, entsetzlich war es für sie, sie war keine berechnende Marquise de Merteuil, sie war keine Dame von höfischer Finesse, sie war im Grunde ihres Herzens voller Demut und Angst. Sie konnte keinem Menschen etwas zuleide tun. Sie scheute jeden lauten Streit. Und sie hatte ihrem Mann die Liebe lange hinterhergetragen. Sie konnte ihm nie böse sein. Doch ohne Antworten zu bleiben, lähmte ihr armes, sehnsüchtiges Herz.
Ein großer Überdruss bemächtigte sich ihrer, in dem Jahr, in dem ihre Freundschaft zu Heinrich begann, ein Überdruss auch an sinnlichen Dingen. Tiefe Müdigkeit befiel sie, Kopfschmerzen, die nicht enden wollten, Krämpfe im Bauch, Schlaflosigkeit, eine Ferne von allem. Wenn sie einmal schlief, träumte sie von bösen Tieren und einem Engel, der sie mit unheimlichem Lächeln lockte, und sie schrie. Schweißgebadet erwachte sie und wurde immer müder. Zuflucht suchend, las sie erbauliche Schriften; zur Jungfrau Maria betete sie, nichts half, in ihr Gesicht trat ein leidendes Leuchten. Nichts half. Sie zählte kaum mehr als dreißig Jahr.
Und dann.
Ein Gespräch mit Heinrich, eine vollendete Vision: Er erzählt von einem Bild, das er einmal sah, und sie wird es nicht mehr vergessen, ein unauslöschlicher Eindruck, der sich ihrem Herzen fest einbrennt, von der Heiligen Madonna, gemalt von Simon Vouet. Heinrich sah es in Frankreich, in Châlons-sur-Marne, immer wieder soll er es ihr beschreiben: wie sie zurückgelehnt halb liegt, halb gehalten, mit ihrem sich schlängelnden schwarzen Haar, ihrem feinen Gesicht mit dem seligen Lächeln,
mit Blässe
des Todes übergossen
, sterbend wird sie von zwei Engeln getragen, die sie nur ganz zart berühren,
mit den äußersten Spitzen ihrer rosenroten Finger
, ganz leicht, unendlich zart, und man glaubt ihr anzusehen, der Heiligen Madonna, dass das, was sie erwartet, was sie da schaut, das Schönste sein wird, das sie jemals sah –
Henriette merkt sich die Worte genau. Manchmal legt sie sich zu Hause, wenn sie allein ist, auf das Sofa und sucht nach dieser Pose. Immer wieder muss Heinrich ihr das Bild beschreiben, und immer häufiger fällt es ihr ein, auch wenn sie gar nicht daran denkt. Und sie weiß: So möchte sie getragen sein, wie
von rosenroten Fingern. Mit Blässe des Todes übergossen.
Vom Tischerücken, Geistersehen und dergleichen Dingen, die manche neuerdings betreiben, über die Heinrich nur bittere Witze macht, fühlt sie sich durchaus angezogen, doch dann wieder quält sie tiefe Schuld. Von diesen Dingen darf sie nichts halten, der Trost der Kirche soll ihr genügen, mit ihr wurde sie groß, an ihr hat sie festzuhalten, wie einst als Kind, an ihres Vaters Hand. Ihr Vater war ein wichtiger Mann in seiner reformierten Gemeinde, in der Luisenstadt. Er nahm sie mit, er lehrte sie zu beten, und hin und wieder durfte sie dort auf der Orgel spielen. Ihr Vater betet noch immer gern mit ihr, und mit Pauline.
Aber Henriette hat ihren Vater im Inneren verlassen, betrogen hat sie ihn, seit sie mit Heinrich
musiziert
. Seit sie zum ersten Mal die Musik gehört, die sie hört, wenn Heinrich sie besucht, wenn Heinrich einen Raum betritt,egal, wo, egal, bei wem. Diese sonderbar ziehende Musik.
Sie hat mit Heinrich eine neue Religion gefunden, die sie keinem sagen kann; der Trost der Kirche genügt eben doch nicht. Heinrich und sie singen geistliche Choräle, sie lieben die starken Melodien, doch sie
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