Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
vermasselt! Meine liebe Henriette, sagte er und küsste ihre Hände, verzeih! Du bist doch das einzige Wesen auf der Welt, das mich versteht! Wenn du mich nicht verstehst –
Gehst du allein in den Tod? Ist es das, was du mir sagen willst?
Woher nimmt sie jetzt nur diesen Mut?, fragte er sich. Am Ende springt sie mir davon, wie Marie, die mir alles vom Himmel versprach, die mit mir leben wollte, nur als ich sie küsste und sie fragte, ob sie auch mit mir zu sterben bereit sei, hat sie mir ins Gesicht gelacht, du spinnst ja, mein Heinrich, und mir die Wange getätschelt. Aus war es da und vorbei. Und dann ist sie abgereist, ohne ein Wort der Versöhnung.
Heinrich schlug die Augen nieder wie ein Kind, das etwas ausgeheckt hat. Jettchen, sagte er schmeichelnd, bitte nicht!, und er quetschte ein Tränchen durch seine schwarzen Wimpern. Er schielte ein wenig zu ihr hin, es musste sie doch erweichen, sie hatte doch so ein liebes Herz!
Henriette aber zeigte ein hartes Gesicht, unerbittlich klang ihre Stimme. So einfach wird er ihr nicht davonkommen, nie wieder wird einer mit ihrem Herzen spielen, das hat sie sich geschworen.
Sag mir einen Tag, an dem wir es tun, sagte sie, und ich will dir glauben, dass du es ernst meinst.
So hatte sich alles beschleunigt. Es gab einen Tag, es gab einen Ort, und die Wochen rasten dahin. Letzte Dinge wollten erledigt sein, alte Papiere wurden verbrannt, neue Papiere wurden aufgesetzt, die Dinge verteilt, die Habseligkeiten verschenkt, alles im Geheimen, denn niemand sollte es bemerken. Sie saßen beieinander und tuschelten, sie hielten sich heimlich umfangen, und Heinrich konnte es nicht mehr erwarten. Er kündigte Marie seinen Tod an. Doch Marie reagierte nicht. Sie saß weit fort, vielleicht zerriss sie die Briefe. Sagte, es seien keine Briefe gekommen. Sie mache sich Sorgen, sagte sie, und schickte ihren Sohn, er möge nach dem Freunde sehen. Und wenn es dem Freund zu schlecht ergehe, wolle sie ihm das Geld überreichen, das die Schwester für ihn hinterlegt. Aber nur für den äußersten Notfall, hatte diese ihr eingeschärft. Der Notfall war längst und mehrfach benannt, der Notfall war nur allzu gut bekannt, doch dieses Wissen hat Marie angeblich nicht erreicht. Vielleicht wurden die Briefe zensiert, vielleicht gab es nur eine Verspätung. Man hat sie nicht gefunden. Die Rache ist süß, Marie. Wir haben uns nie berührt.
Klop-stock, Stop the clock –
wenn du wüßtest, wie der Tod und die Liebe sich abwechseln, um diese letzten Augenblicke meines Lebens mit Blumen, liebste Marie –
jetzt ist es aber genug!
Du, sagt Heinrich, als sie sich von ihrem Gekicher halbwegs gefasst haben, auf den Dielen des Bodens, nah beieinander, sehr nah, und doch noch ein Glas zusammengeleert, ich muss noch einen Brief schreiben, an Marie. Ich will ihr sagen, wie sehr ich dich liebe, und dass du so mutig bist, viel mutiger als sie. Ich habe sie ja gefragt, mit mir zu sterben, doch sie hat Nein gesagt.
Fängt das schon wieder an, ich will nichts von ihr hören, sagt Henriette entsetzt und hält sich die Ohren zu. Ihr Herz rast ihr wieder bis zum Hals. Ich will nichts davon wissen, dass du je eine andere gefragt hast.
Aber sie hat es ja nicht gewollt.
Das ist mir gleich, sagt sie, alle Farbe ist aus ihrem eben noch lachenden Gesicht gewichen, du hast sie aber
gefragt
. Du hast sie genauso lieb gehabt wie mich, sonst hättest du sie nicht gefragt.
Jetzt hat er es schon wieder verkehrt gemacht. Er wollte ihr doch gerade sagen, dass sie die Einzige und Besondere –
Henriette sitzt zwischen dem knisternden Stoff ihres gebauschten Rocks stockgerade auf der Erde, trinkt das Glas Wein auf einen Zug aus und grollt. Ein tiefer Zorn hat sich ihrer bemächtigt, ein tiefer, böser Ernst. Ein Blick in die Wahrheit ihres Lebens, den sie fast unerschrocken nimmt. Es ist jetzt schon recht spät in der Nacht, es wird bald nach zwei sein, oder auch schon drei. Das Gelächter ist verklungen. Etwas Beklemmendes ist ins Zimmer gelangt. Herzschläge füllen es aus. Tick tack, die letzte Nacht des Lebens wird die längste sein.
Ich bin es leid, die zweite Violine zu spielen. Brauchst du denn noch mehr Beweise?
Ihre Stimme, wie er sie noch nie gehört, dunkel und grauenhaft, Heinrich weiß nicht, was soll er tun. Was muss sie sich auch so anstellen. Er ist doch schließlichhier mit ihr. Sie aber stürzt in einen Abgrund, der schrecklicher ist als alles. Ein Abgrund, in den sie nie wieder stürzen
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