Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Hinweis auf ein größeres Glück, und ihr Missvergnügen an den irdischen Belangen nichts anderes als der Beweis ihrer Unsterblichkeit.
Heinrich brauchte keinen Gott, um Young zu glauben, dass nach dem Tod ein anderes Leben auf ihn wartete, zu einleuchtend schien ihm der Gedanke der ewig sich wandelnden Natur, und die Wahrheit des Traumes. Es sollte ihm recht sein, es so zu beschreiben, als wandelte er dann mit Engelsflügeln über Wiesen, und Henriette fand die Vorstellung schön. Alles musste leichter sein, jede Existenzform, als die hiesige, auf Erden.
Der Tod ist ein sanfter Schlaf für den des Lebens Müden.
Sie reden sich beide hinein, bis sie es gar nicht mehr anders denken können, dass sie nach dem Tod mit großen Flügeln über Wiesen schweben und alles, alles leicht sein wird. Dass das Sterben das Allerschönste ist. Unsere kleine Verabredung.
Es gab noch einen Gedanken, der Heinrich bezwang.
»Des Menschen Herz verzehret alle Dinge und bleibt doch immer hungrig; ›mehr, mehr!‹, ruft der Unersättliche: Mit solcher Heftigkeit fordert die wütende Begierde etwas Neues; wann der Mensch nicht steigen kann, so will er sinken.«
Young hatte recht, sein Ehrgeiz würde niemals Ruhe geben. Der Tod allein würde sie ihm schenken. So lange er also am Leben bliebe, würde ihn dieser Hunger treiben,der Hunger zu schreiben, der Hunger, dazuzugehören, der Hunger, etwas zu sein, etwas zu bewirken und etwas zu bedeuten, und er würde neue Not und neues Elend, neue Ablehnung und neue Verzweiflung mit sich bringen. Wenn unsere Kräfte tot sind, ist es gut; sie haben ihre Schuldigkeit getan.
Heinrich hat sich auf sein Bett geworfen und starrt an die Decke. Ein fieser Geschmack ist in seinem Mund, ein heftiger Schmerz zieht von seinem linken Arm hinauf bis zu seinem Herzen, das zu groß für seinen engen Brustkorb ist.
Er ertrug es nicht, von einem nahen Menschen getrennt zu sein. Es war sein Drama, es zwang ihn zu Handlungen, die er bereute, die ihn in einen Schlamassel brachten, den er nicht wiedergutmachen konnte. Ihm, der große, komplizierte Dramen denken konnte, fehlte die Fähigkeit, sich den anderen, der vielleicht nur für einen Tag von ihm getrennt war, als vorhanden vorzustellen. Als einen Menschen, der wiederkehren könnte. Er hatte in sich dann nur eine große schreckliche endlose Leere. Nur im schwarzen Fluss der Tinte ist es ihm für eine Zeit und manchmal gelungen, in seinen langen, zärtlichen Briefen, diesen ungeheuerlichen Briefen, die manche erschreckten und die andere liebten. Seine Figuren hingegen – konnte er jederzeit herbeirufen. Nein, nicht jederzeit. Am Ende wollten auch sie ihm nicht gehorchen. Die
absolute
Katastrophe trat ein, schlimmer als alles. In jenem Sommer, der seinem Entschluss, dem Leben ein Ende zu machen, vorausging, verschwanden auch sie.
Als sein Vater starb, wurde er von seiner geliebten Mutter getrennt. Als seine Mutter starb, wenige Jahre danach, schrieb er seinen ersten, langen Brief, auf dem Weg zu ihrer Beerdigung, auf einer Kutschfahrt, die nicht enden wollte.
Hörte das Schreiben auf, würde er unwiederbringlich von ihr getrennt.
Dies ist der absolute Tiefpunkt der Nacht, und der Einsamkeit, und Heinrich kann nichts dagegen tun, es befällt ihn eine schmerzliche, heftige, unbezwingbare Sehnsucht nach Liebe, Versöhnung und Erlösung. Er möchte sich verachten dafür, allein, es fehlt ihm die Kraft.
Man musste sich doch gut sein, am Ende, sonst käme in der Ewigkeit nichts anderes als auf Erden, sonst wäre man im Jenseits im Krieg, in der Hölle, und nichts wäre gut –
Was wirst du besonders vermissen?
Pomeranzen, Anisette, Kümmel, die grüne Fee.
Und was bereust du?
Dass ich Émile Liberté nie einen Brief geschrieben habe. Dass ich nicht weiß, was mit ihm geschah.
9
(Ein Duft von Tannen und –)
Ich bin so schrecklich müde, Heinrich.
Dann mach doch die Augen etwas zu.
Ich will aber nicht schlafen. Keine Minute dieser Nacht will ich schlafen!
Henriette sieht ihn bittend an. Sie hat an die Tür geklopft, sie ist aus ihrem Zimmer wieder in seines gekommen. Sie hat ihre Briefe geschrieben. Er scheint überhaupt keine Müdigkeit zu kennen; seine hellen Augen zeigen keinerlei Erschöpfung. Es ist unsere einzige gemeinsame Nacht, möchte sie sagen.
Trink noch einen Schluck Wein, es wird dir guttun! Er macht dich wieder munter!
Nein, er macht mich nur noch schläfriger. Ich kann mich kaum noch halten.
Henriette spürt
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