Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
wen nicht?
An Ulrike will ich jetzt lieber nicht denken, sie hat die letzten Fasern zerrissen, mit denen ich an ihr hing.
In diesem Augenblick wandte er sich Henriette zu, er klammerte sich an Henriette. Er spürte ihre Wärme, die ihn freundlich aufnahm, er lehnte sich in sie hinein, in ihre tiefe, zärtliche Großzügigkeit. Er betrachtete sie im Schlaf. Er konzentrierte sich auf ihr Profil. Die geschwungene Nase, die leicht gewölbten Lippen. Die Narben, die er mochte, von den Pocken, die sie als Kind überstandenhat, kleine Vertiefungen, die ihr davon geblieben, in die er zart den Finger legen wollte, Narben, Wunden, Male. Die kräftigen Brauen, die sie manchmal streng zusammenzieht, die langen Wimpern, die in sanftem Bogen unter den geschlossenen Lidern liegen. Vorsichtig küsste er ihr blasses Gesicht. Wäre es nicht schön, jetzt einfach einzuschlafen? Um niemals mehr zu erwachen?
Er dachte daran, wie oft er ihr die sonderbare Legende des Fort de Joux erzählt hatte, es kam ihm geradezu so vor, als sehe er darin sein eigenes Leben vorbeiziehen, und er dachte, wie sehr er sie dafür liebte, dass sie ihn auch in ihrer letzten gemeinsamen Nacht auf dieser Erde darum gebeten hatte, sie ihr zu erzählen.
Wir werden nicht im Tod getrennt sein wie diese beiden, nicht wahr?
Erzähl sie mir ein letztes Mal, Heinrich, die schönste Version von allen.
Er kannte verschiedene Weisen, nach denen der Seigneur den Geliebten seiner Frau Berthe getötet hatte: der einen nach durchbohrte er ihn mit seinem Speer. Einer anderen zufolge erhängte er ihn mit einem Strick, im Wald zu Füßen des Château, und Berthe musste aus einem winzigen Fenster des Taubenschlags genau dorthin blicken, jeden Tag, und nichts anderes konnte sie sehen als den baumelnden Leichnam des Freundes im Wind, der sich böse verfärbte und nach und nach zerfiel. Kaum eine Spur des Baumes, an dem er hing, bekam sie zu Gesicht, nur eine Ahnung der grünen Blätter in Frühling und Sommer, des braunen Herbstlaubs, des Schnees im Winterauf den Ästen. Und doch sah sie jeden Tag hinaus, jeden Tag sprach sie in den Wind hinein mit ihrem Liebsten. Zwölf Jahre währte ihre Gefangenschaft; dann starb ihr Mann, der Seigneur d’Amauri, nichts hatte er von ihr, kalt war er wie ein Stein.
Manche sagen, sie habe einen Sohn gehabt, und dieser habe, als der Vater starb, die Mutter sofort befreit, so hatte Heinrich die Legende der schönen Berthe ein anderes Mal erzählt. Und Henriette hatte mit feuchten Augen zugehört und die Hände vors Gesicht geschlagen vor Mitgefühl.
Von wem war das Kind?, hatte sie gefragt. Welcher der beiden Männer war der Vater?
Woher soll ich das wissen?, hatte Heinrich plötzlich wütend gefaucht. Er war aufgesprungen und aus dem Zimmer gerannt und hatte eine verwirrte Henriette zurückgelassen, in heller Aufregung, ob sie eine dumme Frage gestellt haben könnte. Vor Schreck steif hatte sie einen Augenblick auf dem Sofa gesessen, bevor sie hinter ihm her gestürzt war.
Heinrich, hatte sie ins Treppenhaus gerufen, ich bitte dich –
Das vertrauliche du war ihr herausgerutscht, sie hatte sich auf die Lippen gebissen, sie hatte vor ihrer Wohnungstür gestanden wie angewurzelt, sie konnte doch dem Mann nicht hinterherrennen! Drinnen hörte sie Pauline singen.
Nach einer Stunde hatte es an der Tür geklopft. Zum Glück war Louis noch nicht nach Hause gekommen. Heinrich stand aufgelöst vor der Tür.
Verzeih mir, bitte, ich weiß nicht –
Er griff nach ihrer Hand, sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen.
Als ich jung war, noch vor gar nicht langer Zeit, da dachte ich, ich wollte nichts lieber als drei Dinge im Leben: ein Haus bauen, ein großes Gedicht schreiben und ein Kind zeugen. Es ist so über mich gekommen mit all dem, was ich niemals fertigbringen werde. Bitte verzeih.
Henriette, mit hochrotem Gesicht, wusste nicht, was sagen.
Du musst mich nicht um Verzeihung bitten, brachte sie schließlich hervor, leise und deutlich, auf der Schwelle zu ihrer Wohnung, der Wohnung, in der sie lebte, mit ihrem Mann und ihrem Kind, und in der sie alle hochtrabenden Pläne für ihr Leben längst aufgegeben hatte, versunken in die kleinen Alltäglichkeiten, die ihr anvertrauten Menschen zu versorgen, stumm, liebevoll, sie glücklich zu machen mit ihren stillen Diensten und sich an ihrer Zufriedenheit, ihrer Sorglosigkeit zu erfreuen,
du musst mich niemals um Verzeihung bitten, Heinrich, hörst du, nie.
Sicher hatte in
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