Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Tränen aufsteigen vor Erschöpfung.
Nicht doch, sagt Heinrich. Komm, wir legen uns ein bisschen auf das Bett.
Henriette zögert, doch Heinrich sieht sie aufmunternd an und schlägt das Federbett zurück, auf seinem schmalen Bett.
Sie legt sich langsam hin. Plötzlich schüchtern. Heinrichmacht sich unbekümmert an ihren Füßen zu schaffen. Er schnürt die Bänder ihrer Stiefel auf und zieht sie ihr aus. Er ordnet ihr aufgeschnürtes Kleid ein wenig und legt unbeholfen, aber zärtlich die Decke über sie. Henriette fallen die Augen zu, doch sie streckt ihre Hand nach ihm aus.
Komm, erzähl mir eine Geschichte, lass mich nicht einschlafen, ich bitte dich.
Heinrich legt sich vorsichtig zu ihr auf das Bett; er schiebt seinen Arm unter ihren Kopf und atmet den Duft ihres Haars ein. Sie streichelt sein Gesicht, die etwas kratzigen Wangen, die Falten um den Mund, die Augen, deren Lider leicht verquollen sind.
Welche möchtest du hören?
Irgendeine.
Nein, sag mir, welche.
Henriette droht einzuschlafen.
Erzähl mir von Fort de Joux, murmelt sie.
Schon wieder?, fragt er.
Ja, ich bitte dich. Erzähl mir die Geschichte von Berthe, erzähl sie mir ein letztes Mal, Heinrich, die schönste Version von allen.
Im Haus ist es vollkommen ruhig. Die wenigen anderen Gäste schlafen tief, sie haben morgen eine Reise vor sich, für die sie erfrischt aufstehen müssen, oder sie haben eine hinter sich, von der sie sich ermattet ausruhen. Es ist schon weit nach vier. Die Nacht wird bald zu Ende gehen. Auch der Gastwirt Johann Friedrich Stimming und seine Frau Friederike schlafen ihren verdienten Schlaf, sie werden bald aufstehen müssen, mit den Hühnern, im Morgengrauen. Sie hatten sich zufrieden ins Bett gelegt,es war kein besonderer Tag gewesen für sie, doch ein guter. Durch das klare Wetter, überraschend mild, obwohl Stimmings Frau immer vom kalten Winter spricht, seit sie älter geworden ist und immer leicht fröstelt, konnten einige Reparaturen vorgenommen werden, am Boot und am Haus, die schon länger angestanden hatten. In der Küche neben dem Herd schläft der Tagelöhner Johann Riebisch. Falls die Herrschaften noch einen Wunsch haben. Er schnarcht allerdings, wie wir wissen, einen sehr festen Schlaf. Heinrich und Henriette hören es nicht, die Küche ist zu weit fort, so wie alle anderen Menschen unter diesem Dach. Sie haben alle vergessen. Es ist, als wären sie allein auf der Welt, in dieser langen Nacht.
Heinrich erzählt Henriette die sonderbare Legende von Fort de Joux. Immer wieder hatte sie sie hören wollen, seit er sie ihr zum ersten Mal erzählt hat.
Im Mittelalter, als die Ritter noch die Welt beherrschten und das Fort de Joux eine prachtvolle neue Burg war, hatte ihr Besitzer, der Seigneur d’Amauri de Joux, die wunderschöne junge Berthe geehelicht. Kaum verheiratet, wurde er zu den Kreuzzügen ins Feld gerufen, um mit Barbarossa loszuziehen, um gegen die Andersgläubigen zu kämpfen. Berthe wartete voll Ungeduld auf ihren Gatten, denn sie war ihm von Herzen zugetan. Doch nur einige Wochen, nachdem er ausgerückt, erhielt die sehnsüchtige Berthe die Nachricht, ihr Mann sei im Felde schwer verletzt und heldenhaft gefallen.
Die schöne junge Berthe nun krümmte sich wochenlang schlaflos vor Schmerz; sie hatte ihren Mann, seltengenug zu jener Zeit, aufrichtig geliebt. Vier lange Jahre vergingen, die eisigen Fröste wechselten sich mit dem Frühling ab, der dem Sommer die Hand gab, doch alles, was Berthe empfand in ihrem unglücklichen Herzen, war der Herbst. Ein Freund aus Kindertagen, der unversehrt vom Feldzuge heimkam, stand ihr bei. Er kam, saß geduldig bei ihr, ohne viel Worte zu machen, und eines Tages strich er ihr sanft übers Haar. Diese Berührung beruhigte Berthe, von diesem Moment an schien sie zu genesen, und bei jedem Abschied setzte sie sich so, dass Amé de Montfaucon, wie der freundliche Ritter sich nannte, die sanfte Geste wiederholte. Sie bekam allmählich wieder Farbe, ihre Jugend tat das Übrige, das Leben kehrte in ihre Glieder zurück. Auch Amé de Montfaucon bemerkte die Veränderung, sah, wie sie allmählich wieder blühte. Er war gerührt, wenn nicht noch mehr. Und bald gewannen Liebe und Natur, es setzte sich die schöne Berthe mit geradem Blicke zu ihm und sah ihn an, dann senkte sie die Wimpern, und er, er trat zu ihr und küsste ihre Stirn.
Kurz und gut, die beiden wurden ein Paar.
Doch grausam war das Schicksal! Der tot geglaubte Gatte, der Seigneur
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