Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
d’Amauri, kehrte zurück, nach so vielen Jahren! Er fand die Treulose, wie er sie tobend nannte, und duldete keine Erklärung. Wütend erschlug er den Geliebten, und ohne Gnade sperrte er die schöne junge Berthe in das kleinste Verlies, das sich fand. Kaum rühren konnte sie sich darin, nicht liegen und nicht stehen, kein Licht und keine Luft gewährte er ihr. Kniend verbrachte sie die meiste Zeit. Zweimal am Tag aber wurde ein Loch geöffnet, durch das zu blicken sie gezwungen– und was musste sie dort sehen? In einem ebenso winzigen Verlies, gleich neben ihr, lag der Leichnam ihres Geliebten, verweste und zerfiel.
Même aujourd’hui dans la vallée,
Le soir comme un écho lointain,
Tombe et des rochers de la Cluse,
Le dernier cri de la recluse:
Priez vassaux, priez à deux genoux,
Priez Dieu pour Berthe de Joux!
Selbst heute noch in diesem Tal
Ertönt am Abend ein Echo von fern
Und von den Felsen des Flusses Cluse
Der letzte Schrei der Eingesperrten:
Betet, ihr Tiere, auf zwei Knien betet,
Betet zu Gott für Berthe de Joux!
Henriette war eingeschlafen. Sie hatte ihren Kopf auf Heinrichs Arm gebettet, er roch ihr Haar, er roch ihre Haut, und langsam stieg die Erinnerung auf, an eine andere Haut, die so ähnlich geduftet hatte, nach etwas Feinem, Unbekanntem, wie trockenes Gras manchmal riecht, nur süßer. Er dachte an die silbern strömende Oder, an das große Haus in Frankfurt, in dem er die Kindheit verlebt hatte, mit seinen vielen Geschwistern. Er dachte an seine Mutter, mit den hellbraunen Locken und der hellen Haut, die Mutter, auf deren Schoß er das Lesen gelernt hatte, die ersten Silben und Vokale, und die ihm vorgelesen hatte, ihm, ihrem Liebling, der sie mit großen Augenangesehen und die Buchstaben und Worte unermüdlich wiederholt hatte, wissbegieriger als alle ihre anderen Kinder, hingebungsvoller lauschend als die anderen, noch einmal, noch einmal, erzähl mir die Geschichte noch einmal, und so süß war die Erinnerung daran, dass er weinen musste.
Werde ich dich wiedersehen, dort, wohin ich bald gehe? Hast du es mir nicht versprochen, als dein Mann und mein Vater starb und wir alle bitterlich weinten? Du meintest ein anderes Wiedersehen, nicht wahr, als das, das du mir sagtest, als ich, noch immer erschüttert, in die Kutsche steigen musste, auf den Weg nach Berlin. Als man mich auch von dir trennte! Wir sehn uns wieder, hast du gesagt, und ich, der ich an Gott nie glauben konnte, niemals beten konnte, möchte dir jetzt sagen
, ich verstehe
–
Heinrich legte sein Gesicht noch enger an Henriettes Hals, er schloss die Augen und vergrub seine Nase noch tiefer in ihr schönes volles Haar, fast war es ihm, als würde er den Duft von Tannen riechen, und er dachte an das Haus seiner Großeltern, auf dem Land, in der Nähe von Cottbus, durch das er im Sommer mit seinen Geschwistern laufen durfte, überallhin, und wie schön er es im Freien fand, unter den Bäumen, auf den Wiesen! War er nicht aufgewachsen wie rasses Gras? War nicht da sein unstillbarer Drang nach Freiheit entstanden? Hatte er sie dort nicht kennengelernt? War dort sein ganzer Eigensinn gewuchert, der ihn später die Sätze drehen ließ? Und seine Liebe zur Natur, in die er sich auch später immer wieder zurückzog, um sich auszuruhen, und von der es ihn wieder fortzog, in die Welt hinein – so wie erals Kind mit dem Finger auf dem Globus gereist war, der im Zimmer seiner Mutter stand und der sich drehen konnte, was ihn zutiefst beschäftigte. Stundenlang konnte er darauf herumspazieren, mit seinem kleinen Zeigefinger; und unablässig hatte er die Mutter gefragt, die mit einer Handarbeit bei ihm gesessen hatte: Und wie heißt dieses Land? Und dieses? Gibt es dort wirklich Menschen? Und Tiere? Und Bäume wie hier? Wie sehen sie aus? Ist es kalt oder heiß? Und seine Mutter hatte gelacht, und sie hatte antworten müssen, und manchmal hatte sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gerufen, das müssen wir deinen Herrn Lehrer fragen oder den Herrn Vater! Und er hatte sie ganz entsetzt angesehen, das wisst Ihr nicht, Maman? Seine liebenswürdige Mutter, die ihm manchmal einen Kuss auf die Augen geschenkt.
Heinrich ließ seine Gedanken schweifen; er dachte an das Haus in Frankfurt und wie es dort gerochen hatte, nach Süßspeisen und Wäsche und dem Fluss; wie glücklich er dort gewesen war, und wie neugierig auf alles. Wie sehr er seine Halbschwester verehrt hatte, Ulrike.
Wen darfst du lieben Heinrich, und
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