Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
deine Religion. Nicht darf der Mensch nehmen, was Gott ihm geschenkt: das Leben.
Mir ist das Leben nichts, wenn es kein Leben ist.
Dritte Aufnahme.
Im Zimmer von Heinrich und Henriette, am einundzwanzigsten November, nachdem man sie am See gefunden hat, so wie sie es sich gewünscht hatten, wie sie es vorbereitet hatten und durch vielerlei Aufträge und Anfragen an den Gasthof. Es ist nicht leicht, in eines der beiden Zimmer zu gelangen. Frau Stimming, die Gastwirtin, drückt die Türdrücker herunter; doch die Türen sind abgeschlossen. Sie rüttelt daran; nichts zu machen. Wir müssen die hintere Tür öffnen, sagt sie zum Dienstmädchen, das, ziemlich bleich im schmalen Gesicht, glaubt, die aufregendste Stunde ihres Lebens zu erleben. Es gibt tatsächlich eine Tür von Heinrichs Zimmer aus zu einem hinteren Aufstieg. Aber auch hier ist es nicht leicht, sie zu öffnen. Nach einigem Ruckeln und Schieben gegen einen harten Widerstand hören Frau Stimming und das Mädchen es poltern, sie fallen fast ins Zimmer hinein, in einen Haufen Stühle. Es sind eigentlich nur drei, doch es kommt ihnen so vor, als wären es sechs. Sie sind geschickt ineinander verkantet und hielten die Tür von innen geschlossen.
Da stehen sie nun, die beiden Damen. Als könnte das Zimmer Aufschluss erteilen über das, was sie soeben entdeckt.
Doch die Briefe, die im Grunde auch nicht wirklich etwas erklären wollen oder können, liegen versiegelt in einem Kästchen, der lederne Reiserucksack, das Felleisen, daneben. Und ein Buch, es ist der »Don Quixote« von Cervantes.
Frau Riebisch und die junge Magd wissen nicht recht weiter. Die Zwischentür steht einen Spalt offen, befangen treten sie über die Schwelle, in das Zimmer der Dame. Es duftet angenehm, anders als sonst. Das Bett ist ordentlich gemacht, die Decke ist straff gezogen, über dem Plumeau, das sich wölbt. Am Schrank, sehr ordentlich, hängt das graubraune Reisekleid der Dame, das sie bei ihrer Ankunft trug, und offenbar auch die halbe Nacht. Darunter blitzt der Rand eines weißen Hemdes hervor, eines Unterkleides, genau gesagt, und am Boden steht ein Paar schmale, städtische Stiefel. Eine Reisetasche ist danebengestellt. Auf dem Nachtschrank liegt aufgeschlagen ein Buch. Doch die beiden Frauen trauen sich nicht, sich zu nähern. Sie stehen mitten im Zimmer, ganz still.
Wir müssen wohl alles so lassen, sagt Frau Stimming.
Etwas rührt sie zutiefst. Etwas wie ein unbekannter Traum von Liebe. Von einer Leidenschaft der Körper und der Seelen, etwas, was sie unter den Daunendecken im eisigen Schlafzimmer mit Johann Stimming, ihrem Mann, wohl nie erfahren wird.
Das Mädchen hingegen fragt sich, ob sie jemals ein so schönes Kleid besitzen wird wie das, das sie der Dameam frühen Morgen, müde und verschlafen, zuschnüren durfte.
Beide machen einen tiefen Seufzer.
Das Zimmer aber schweigt.
(Henriette, zwischen fünf und sechs)
Du ließest mich alleine
In dieser langen Nacht
Ich will nun mit dir sterben
Dass mir dein Herze lacht.
Henriette singt die Zeilen, wieder und wieder, sie schaukelt sich hinein, der Gesang wird immer wilder, drohender, dann still, verinnerlicht, lächelnd.
Sie denkt an das, was sich vor wenigen Minuten ereignet hat, überraschend, seltsam, schön: Sie sind beide wie betrunken von ihrem Entschluss. Ihre Körper sind kaum zu halten in dieser Entzückung, absolut und vollkommen sich selbst zu gehören, über sich selbst zu entscheiden, frei vom Einfluss anderer, frei von irgendwelchen Ansprüchen und Erwartungen, sie sind außer sich, eine nie gefühlte Erregung überkommt sie und sie pressen sich aneinander, sie fühlen den Irrsinn, die Freiheit, etwas Rasendes, sie wollen rennen, toben, schreien, so reißt es an ihnen, ein sinnliches Verlangen, das aus diesen Gedanken kommt und sie sich ineinander verkeilen lässt. Heinrich umschließt Henriettes Leib, Henriette erfasst ihn, ihre Haut gleitet über seine Haut, er stöhnt, überlässt sich, sie drängt, ohne zu bedrängen, sie drängt sich hin zu ihrer eigenen überschäumendenLust, die ihn mitnimmt, ohne Atem, und immer weiter lassen sie sich fallen, treiben, Henriettes ganzer Arm streicht über Heinrichs Bauch und Brust, die Hände reichen nicht, erst waren es nur die Fingerkuppen, kaum erträgliche Berührung nach kaum zu ertragender Spannung, doch jetzt ihre Arme, ihre Beine, alles, womit sie einander zu fassen bekommen.
Ich atme dich, Heinrich. Ich trinke dich, Henriette.
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