Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
erstes Stück zerrissen hast, in lauter kleine Fetzen, maßlos in deinem Anspruch und maßlos in deinem Willen. Dabei wusstest du schon damals ganz genau, dass der Wille allein nichts nützt, dass er nur blindwütig hervorstößt, ohne Sinn. Dieser krankhafte Ehrgeiz, dem du nie genügen kannst, der die Wahrnehmung trübt. So eine Misere, dachte ich, so eine Memme, heult wie eine Frau, schreit hemmungslos herum,
wie ein Mädchen
, hast du dann auch noch gesagt, hättest du mich geliebt. Mann, Heinrich! Wo soll das hin?
Jawohl, du sagst es, Ernst, es ist die Wahrheit. Ich fühlte immer, was doch ein Menschenherz fühlen
muss
, jenseits von Geschlecht und Farbe, eines, das sich gegen Ungerechtigkeit erhebt, wo es sie findet, eines, das Tränen weint, wenn es Traurigkeit fühlt. Was ist falsch daran? Sag es mir! Denk an den Prinzen von Homburg! Ersetzt auf sein Gefühl, das den Wahnsinn des Krieges zurechtrückt! Und was passiert? Alle schreien, so geht das nicht, so geht das ganz und gar nicht! So eine blöde Hysterie! Nicht ich bin falsch, meine Zeit ist es! Weißt du, was die Rahel gesagt hat? Schlimm ist es, in einer Zeit zu leben, die dahinsiecht, schlimm, mit ihr dahinzusiechen!
Ich bitte dich, das ist doch das Geschwätz einer bitteren Frau! Denk an die Reformen, die jetzt –
Die Reformen! Dass ich nicht lache! Sobald die Zeiten wieder besser stehen, ist es passé mit der Freiheit der Bauern! Nein, nein, ich glaube an nichts mehr. Ein Junge noch, sah ich Städte in Flammen aufgehen, Soldaten ihre Beine oder ihr Leben verlieren, und wozu? Damit unser König vor Napoleon kneift? Damit Preußen untergeht, mit einem Holzkopf von einem König? Nichts als Exerzieren hat noch keinen Staat gemacht. Ja ich habe den König geliebt, aber jetzt ist er mir egal! Nur eines will ich:
Er
soll es sehen, den Ort, an dem wir beide morgen sterben, Henriette und ich. Jedes Mal, wenn er dort vorbeifährt, soll er an mich erinnert sein, mich, seinen treuen Untertan, den er verraten hat! Soll er sich schämen, dass er sich Napoleon ausgeliefert hat, ich hab es an Marie geschrieben, sie wird nicht an sich halten, ich kenne sie, sie wird den Brief bei Hofe zeigen, und alle werden seufzen: Ach! Und weh! Ach, dass sie alle krepieren an ihrer blöden engen Art!
Heinrich greift nach der Decke und zieht sie über seine glühenden Ohren. Er möchte schreien, doch er kann nicht. Er will sich schütteln vor Schluchzen, doch er kannes nicht. Er presst die Hände gegen die Ohren. Doch die Stimme ist in ihm.
Du willst doch die Wahrheit? Hör mich nur einmal an. Ich glaubte, es würde vorübergehen, und es ging vorüber. Ich hielt dich, ich nahm dir die Flaschen weg, ich hütete deinen Schlaf, und eines Tages bist du aufgestanden, hast mich umarmt, gelächelt, als wäre nichts geschehen, hast dich an die Arbeit gemacht und warst der zauberhafteste, sanftmütigste Mensch von allen, und alle, die dir nun begegneten, waren entzückt.
Was hilft es? Du hast mich im Stich gelassen, du warst mein bester Freund.
Ich hätte dich gern verlassen, diesen Irrsinn, diesen Wechsel, deine Raserei, die ich jämmerlich und lächerlich zugleich fand, die mich bedrohte; sie schien mich in einen Strudel mitreißen zu wollen, es war so, als ob du immer jemanden gebraucht hättest, der mit dir in diese Raserei rauscht oder diesen Rausch rast, was weiß ich, so wie die Pharaonen immer mit ihrem lebendigen Gefolge begraben werden wollen. Bloß nicht allein sein, immer muss einer mit, in dein tolles Gehirn, der Teufel weiß, warum das so ist. Wenn ich fort wollte, hast du dich auf den Boden geworfen, hast mich angefleht, ich möge bleiben, dich bloß nicht allein lassen, du würdest verrecken, und dann hast du mich beschimpft, hast mich einen Verräter genannt, einen illoyalen Idioten, und dann hast du geweint und geschluchzt. Ich konnte mich nicht wehren gegen dich. Ich konnte dich in diesem Zustand nicht verlassen. Du hättest dir was angetan, ich weiß es. Das erste Mal in Paris, das zweite in Dresden, das dritte – ich mag gar nicht daran denken, aber ichwerde bis an mein Lebensende daran denken müssen, weil ich es nicht ausgemerzt kriege aus meinem Kopf, so wenig wie die Leichen der Soldaten auf den Schlachtfeldern von Jena, Auerbach, Aspern und Wagram! Es war immer das gleiche Auf und Ab: zuerst warst du voll hochfliegender Pläne, der Wein berauschte dich wie deine Ideen, er half dir, dich ruhigzustellen, damit du es ausgehalten hast, an deinem Tisch, und
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