Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
nicht umher springen musstest vor Erregung, er ließ dich vergessen, worum du dich hättest kümmern müssen, und auch ich schützte dich vor den Banalitäten, den Anforderungen des Alltags, den Pflichten, den Mietforderungen, den Rechnungen der Gastwirte und Drucker, den Schulden bei Freunden, denn, mein lieber Heinrich, ich muss es dir sagen, du hast früh diesen Hang zum Verlottern gezeigt. Aber das habe ich dir nachgesehen, wegen deines ungewöhnlichen Talents!
Heinrich weint. Die Tränen laufen ihm einfach über das Gesicht, er fühlt sie, er lässt sie laufen. Er kann nichts tun. Er liegt auf dem Bett, ihm ist kalt, er zittert fürchterlich, sein Magen ist ein riesiger eisiger Stein, doch er schafft es nicht, sich unter die Decke zu legen und sich zu wärmen. Die Stimme in Heinrichs Ohr wird sanft, sie schmeichelt. Er lauscht wie ein Kind, das nicht recht versteht.
Weißt du, was ich liebte an dir? Du hast mich nie belogen. Du hast dir selber unerschrocken ins Gesicht gesehen, und du warst ehrlich zu mir. Den Frauen hast du manchmal alles Mögliche erzählt, wenn du etwas von ihnen brauchtest. Doch mir hast du nichts vorgemacht.Ob es an unserer Jugend lag? Weil wir uns so lange kannten? Du warst – so – vorbehaltlos und unverstellt. Keine Vertrautheit sollte aufkommen, beim Militär, die an zu Hause erinnert hätte, an Mütter, Schwestern, zärtliche Tanten. Du warst so anders! Hart sollten wir werden, das Leben für nichts erachten.
Nur wer das Leben fortzuwerfen bereit ist, kämpft wirklich bis zum Äußersten.
Es krampft mir das Herz zusammen.
Und doch hast du es beim Wort genommen!
Weil es dem lieben Gott lieb ist, wenn Menschen ihrer Freiheit wegen sterben
. Ich habe an vieles geglaubt. Ich bin erschöpft. Lass mich doch ein bisschen schlafen, ich bitte dich. Ich bin so hunde-, hundemüde.
Ich höre gleich auf, ich sage dir nur noch Ade. Ich werde dich schrecklich vermissen, Heinrich. Ich – weißt du noch? Wie alt waren wir? Neunzehn? Zwanzig? Du warst so vergnügt, wie du gelacht hast. Komm, Ernst, hast du gesagt, komm, wir gehen in die Schweiz, wir wandern quer durch das Land, wir wollen das Gebirge sehen, Dörfer, Täler, andere Orte als diese grausame Kadettenanstalt, dieses enge, strenge Potsdam. Du hast deinen Rousseau verschlungen und gedacht, dass du ein selbstbestimmtes Leben führen könntest. Die Natur, das war dein Schlachtruf, alle Fesseln sollten abgeworfen werden, alle, die dich eingeholt haben, diese Fesseln des Lebens, weil sie stärker sind als du.
Heinrich liegt ganz still, auf dem schmalen Bett. Er wird wieder ruhig. Er ist wie ausgeleert. Es ist bald vorbei, denkt er, bald werde ich endlich Frieden haben.
Hör auf, sagt er in die Dunkelheit hinein. Es ist, wie esist. Lass mich in Frieden sterben und behalte mich gut in deiner Erinnerung. Ich will das alles nicht mehr! Dieser lange öde Sommer in dieser großen, kadavreusen Stadt. Die Staubkörnchen glimmend in der Sonne, mein dröhnender Kopf, mein saurer Magen, mein ständiger Durst, meine grässlichen Gedanken, die mir davongaloppieren wie Pferde, die niemand mehr hält. Ich hätte so bitter gebraucht,
etwas Schönes
zu erleben! Wie die Katze in der Sonne zu liegen, sich einfach an der Wärme zu freuen! Einmal wie eine Kreatur zu sein, einfach nur da, ohne Gedanken.
Ich habe kein Geld, ich habe nur Schulden, niemand spielt meine Stücke. Ich will keinen bitten, um gar nichts. Etwas an meiner
Art
ist nicht erwünscht, eine andere habe ich nicht zur Verfügung. Es ist, als wäre ich tot, bei lebendigem, fühlendem Leib. Nun ist es gut. Die Schleier sind zerrissen. Ich habe meine Papiere verbrannt. Mein Ideenmagazin und meinen Roman. Ich werde nicht mehr gegen Windmühlen kämpfen. Ich bin vollkommen ruhig und klar.
Was sagst du, Ernst? Ich höre dich so schlecht.
Ich sagte –
Wie bitte?
Du – dein Leben –
Was soll das für ein Leben sein, wenn ich vollkommen unfrei bin? Und nicht mehr denken kann?
Vivre libres ou mourir!
Nun sterbe ich wenigstens frei.
Niemand kann frei sterben –
Doch, doch, ich sage es dir: diese Frau, diese wunderbare Freundin, die nebenan ihren letzten irdischen Schlaf schläft, die kann es auch. Sie –
Nie –
Ernst? Ernst? Ich höre dich nicht mehr! Wo bist du?
–
Ach. Immer an dieser Stelle hast du dich verflüchtigt. An dieser Stelle wolltest du mir niemals folgen,
das
hat uns getrennt. Du hast es dein Bekenntnis, deine Liebe zum Leben genannt, vielleicht war es auch
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