Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
an denen sie immer nur das Medaillon an ihrem Hals küsste und Gebete vor sich hin sprach. Ich sah mich um. Ich besuchte Freundinnen, die wie ich erst vor Kurzem Mütter geworden waren. Ich sah sie lachen, reden, mir stolz ihre Säuglinge, fest eingewickelt in ihren Steckkissen, präsentieren – was hätten sie gesagt, hätte ich sie nach ihren Empfindungen gefragt? Alles schien fraglos und selbstverständlich
. On en parle pas, Madame.
Darüber spricht man nicht, Madame.
Dass man sich, wenn der Geliebte nicht da ist, wie tot fühlt, dass man, wenn er da ist, tot sein will, um dieses Gefühl auf immer zu haben, damit es niemals aufhört.
Soll ich dir sagen, worüber nicht gesprochen wird?
Dass mir drei Kinder gestorben sind.
Das erste war ein Mädchen, Lidia Sophie, sie kam an meinem ersten Hochzeitstag zur Welt, im Juni 1800, ein Jahrhundertwendekind. Ich freute mich unendlich. Neun Tage später starb Louis’ Mutter, es war am 16. Juni. Wir fuhren in der Kutsche nach Havelberg, Lidia Sophie blieb zu Hause. Ich war zwanzig Jahre alt. Louis hatte eine weiche Haut, freundliche Augen, ein jungenhaftes Lachen, aber vom Stillen hielt er gar nichts. Mir schwollen die Brüste, Fieber schüttelte mich, ich fühlte mich elend und heulte, man fuhr mich in der Kutsche zurück. Das kleine Mädchen bekam eine Amme. Vier Monate später starb es. Die ersten Zähnchen brachen durch, es bekam einen Schnupfen und Fieber; die Amme gab ihr Tee aus Fenchel, Milch würde das Kind nicht vertragen. Das Fieber stieg, Lidia keuchte, das Näschen war verstopft. Vielleicht ist sie erstickt, in der Nacht; vielleicht hatte sie keine Kraft, einen Infekt zu überstehen. Vielleicht hat sie zu leise geschrien, und vielleicht hat niemand sie gehört.
Mein kleines Mädchen bekam einen kleinen Sarg, im Oktober. Die Blätter an den Bäumen auf dem Friedhof hatten sich verfärbt. Ich sagte Louis, bitte nicht, nicht gleich wieder ein Kind; im Frühling darauf war ich schwanger; im Februar des nächsten Jahres kam mein Sohn zur Welt, wir nannten ihn Ludwig, und im Aprilschon – war ich wieder schwanger. Mir war schlecht, und ich musste ständig weinen. Wir zogen um, von der Leipziger Straße in die Kronenstraße.
Ludwig sah seinem Vater sehr ähnlich, die weichen Lippen, das rundliche Gesicht, das blonde Haar. Als er sechs Monate alt war, starb auch er. Mit dickem Bauch stand ich am Grab; ich erwartete Ida Pauline.
Ich war sehr jung. Doch an manchen Tagen lag ich auf dem Sofa und war so erschöpft, ich wäre am liebsten gestorben.
Dass uns die Kinder wegsterben, gilt als normal. Wenn es normal ist, ist es nicht schlimm, sagen die Leute. Sie lügen. Sie machen es sich leicht. Ich habe jedes Mal geweint. Lange habe ich geweint. Die Geburt war eine Qual, die Wochen danach die Hölle, und ein Abgrund reißt zu deinen Füßen auf, wenn du dein Kind verlierst. Und ständig diese Angst. Wir wissen nicht einmal, warum sie sterben, die kleinen Wesen, bevor sie ein Jahr alt sind. Manche kriegen die Pocken, auch eine Hirnhautentzündung kommt vor. Manche fangen sich in kalten Zimmern eine Lungenentzündung ein, und andere sterben an Koliken. Wenn sie Glück haben, bekommen sie eine Amme, deren reife Milch sie stärkt. Doch für wie lange? Zwei Monate? Drei? Manche bekommen nur Wasser mit Brei aus Körnern, sie entwickeln sich schlecht, nur die wirklich robusten überleben. Anderen gibt man Wein, wenn sie schreien, andere erhalten zu starke Gewürze. Die armen Frauen stillen, wohlhabende und adlige Frauen nicht. Es gilt als nicht fein, es gilt als revolutionär, denn die Revolution macht alle Menschen gleich. Viele Männererfüllt es mit Ekel. Man weiß nicht viel, woran die Kinder sterben. Im Totenbuch der Kirche heißt es: an Zähnen oder an Krämpfen.
Wer will das hören, Heinrich?
Madame, on en parle pas.
Ich habe meine toten Kinder im Arm gehalten, wer wird mich halten wie sie?
Wann immer ich in Gesellschaft Fragen stellte, sah man mich sonderbar an, oder man versuchte es zu verbergen, und ich hörte ein ums andere Mal: Sie ist, mit Verlaub, ein wenig exaltiert. Dabei gibt sich unsere Zeit so offen für Gefühle, ein jeder redet davon, meint, darüber sprechen zu können! Alle in den Salons, die Künstler, Schriftsteller, die Damen und Herren, reden so viel über die Empfindsamkeit, doch wehe, deine Gefühle weichen nur ein wenig von den ihrigen ab – exaltiert! raunen sie dann! Sie rücken Tische – und nennen mich
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