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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Paulines Bettchen wachte? Als sie einmal Fieber hatte und durch den dicken Schnupfen so schlecht Luft bekam,oder noch viel früher, als ihre ersten Zähnchen wuchsen. Manchmal genügte es, wenn ich ganz leicht meine Hand auf ihr Bäuchlein legte, oder ihre Schulter, oder sanft den Fieberschweiß von ihrer Stirn tupfte.
    Ich sehe eine Frau im Spiegel, die ein Taschentuch an ihre Augen führt, nur eine winzige Träne lang, ich darf mich nicht allzu sehr in diesen Gedanken begeben –
    Ich wünschte, sie würde mich nicht so sehr vermissen, aber sie hätte es früher oder später lernen müssen, der Doktor hat mir zwei Jahre in Aussicht gestellt, obwohl er sich oft widersprach und vor Kurzem deutlich meinte, ich könnte wieder gesund werden. Nicht wahr, ich müsse eben warten, bis der Tod kommt und mich holt. Aber der Tod kommt doch und holt mich! Er wohnt nebenan, er wandert hin und her, auf seinen Socken, um nicht zu stören, und man hört ihn doch, er vergisst sich nämlich selbst und fängt an laut zu werden, er redet vor sich hin und möchte wahrscheinlich am liebsten auch noch einmal auf seiner Klarinette spielen. Wenn die Worte versagen, singen wir, wir lassen die Musik für uns sprechen, so ist das. So haben Heinrich und ich miteinander musiziert. Ich vertraue Gott, dass er mich annimmt. Wenn er so gütig ist, wie es heißt, und wenn nicht, was soll er mir dann? Wenn ich aus freien Stücken komme, was sollte er falsch finden daran? Mein Vater hat mich geliebt.
    Ich hatte schon sehr früh die Sicherheit, dass mein eigentliches Leben nach dem Tod beginnt. Ich kann es nicht erklären. Ich sah den Blumen zu, die welkten, ich sah Tiere, die getötet wurden, und einmal sogar einen sterbenden Soldaten. Heinrich war der einzige Mensch, der dies verstand.
    Ich glaube, die Menschen sind zu verwickelt in ihre täglichen Belange, ihre Notwendigkeiten und die nächsten Begegnungen, die Sicherung ihres Ansehens und ihrer Existenz. Ich war sechzehn Jahre alt, als es mir zum ersten Mal bewusst wurde, wie ich mein Leben und damit auch meinen Tod verstehe. Ich saß im Salon von ich weiß nicht mehr welcher Nachbarin, zu der ich mit meinem Vater zusammen eingeladen war, und mitten im Gespräch sah ich auf mich selbst hinab wie ein Vogel; ich trat aus allem heraus. Sah die andern lächeln, reden, die Tassen zum Mund führen, und ich begriff, so würde es sein bis ans Ende meiner Tage, und es würde keine Rolle spielen, an welchem Tag mein Ende wäre.
    Oft, wenn mich diese Ferne befiel, begann ich, alle Dinge, die ich sah und tat, zu benennen, leise, nur für mich selbst; ich warf Anker mit diesen Worten, die ich meine Nenn-Wörter nannte, ich hielt mich an ihnen fest, denn ich fühlte nichts, nicht einmal den Boden, auf dem meine Füße standen, nicht den heißen Tee auf meiner Zunge, oder den süßen trockenen Kuchen, nicht die Fläche des Stuhls, auf dem ich saß, nicht meine Hände, die etwas trugen oder die ich ins Wasser tauchte, um sie zu waschen. Die Verbindung zu allem, was mich umgab, wurde so dünn wie der feinste Faden aus Seide. Eine Minute, zwei, manchmal sogar viele Minuten lang hielt dieser Zustand an. Auch damals stellte ich mich hin und wieder vor einen Spiegel und nannte mich selbst beim Namen: Henriette Sophie Adolphine.
     
    Am schwierigsten war es in der Zeit nach Paulines Geburt.
    Ich liebte das Kind, ohne Zweifel, doch wie groß war mein Entsetzen, als ich trotz dieses Geschenks des Lebens in meine alten Zustände fiel, die Zustände des seidenen Fadens! Obwohl mich doch ein lebendiges Wesen mit der Welt verband.
    Ich nahm Pauline vorsichtig auf, hob sie aus der Wiege, hielt sie in meinem Arm. Ich sah, wie meine Hände ihren kleinen Körper griffen; ich drückte sie an meinen, und ich sagte mir die Worte dazu vor. Ich fühlte nichts. Kein Strom floss zwischen ihr und mir. Ich fühlte in meinem Herzen oder meinen Gedanken Zuneigung und Zärtlichkeit, oder sollte ich sagen, ich fühlte sie als Gedanken? Dachte ich sie womöglich nur, weil ich glaubte, dies seien die Empfindungen, die ich doch eigentlich haben müsste? Ich weiß es nicht. Was ich sagen will: Mein Körper fühlte nicht den Wärmestrom, den ich wusste, dachte, ahnte, der doch zwischen zwei so eng miteinander verbundenen Wesen wie einer Mutter und einem Kind bestehen sollte.
    Meine eigene Mutter konnte ich nicht fragen, sie war schon zu zerrüttet. Sie bekam bei der Taufe diesen sonderbaren nach innen gewandten Blick, mit dem oft die Tage begannen,

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