Wir sind bedient
den jeden Tag dreimal umgraben muss, auf der Suche nach irgendwelchen losen Zetteln, auf denen er etwas furchtbar Wichtiges notiert hat. Und ich sehe morgens, wenn er zur Tür reinkommt, auf den ersten Blick, wie der Tag werden wird. Schlimm ist, wenn er eine Stirnfalte kriegt - uh, dann ist Gewitter im Anzug.
Es gibt so Tage, da muss ich ihm gekonnt aus dem Weg gehen. Wo ich mir denke: Heute nicht mit mir! Und ich schaffe es immer genau dann in sein Zimmer zu gehen, wenn er nicht drin ist. Weil ich genau weiÃ, dass ich nur für irgendetwas angeranzt werde, wofür ich gar nichts kann.
Er hat auch einen Spitznamen für mich. Wenn alles gut läuft und er gut drauf ist, nennt er mich »Stucki«. Wenn er aber in diesem ganz bestimmten Ton »Frau Stuckmann, kommen Sie mal bitte!« sagt, dann weià ich, es ist Ãrger im Verzug. Er lässt natürlich auch viel an mir aus. Es gab ein Jahr, in dem er sich wahnsinnig über eine andere Mitarbeiterin geärgert hat und das immer an mir ausgelassen hat. Ständig war irgendetwas nicht recht oder nicht schnell genug, er hat bei jeder Kleinigkeit gemotzt. Und in dieser Zeit hat er mich nicht ein einziges Mal »Stucki« genannt. Bis ich ihm in einem Mitarbeitergespräch ganz deutlich gesagt habe: »Ich bin nicht Ihr FuÃabtreter! Ich kann auch woanders arbeiten.« Das hat er sich sehr zu Herzen genommen.
Man muss ein bisschen aufpassen, rechtzeitig Grenzen zu ziehen. Mein Chef hat zum Beispiel mal gesagt, ich gehöre hier ja schon zum Inventar. Und ich weià nicht, ob ich das gut finden soll. Eine Kollegin hat gerade diese Erfahrung gemacht. Deren Chef wollte sich mit einer neuen Firma selbstständig machen und ist ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie mitgeht: für weniger Geld bei deutlich mehr Arbeit! Sie war fünfundzwanzig Jahre lang seine Sekretärin, und ich glaube, der kam gar nicht auf die Idee, dass es in ihrem Leben noch etwas anderes geben könnte, als für ihn zu arbeiten. Der ist aus allen Wolken gefallen, als sie ihm eröffnet hat: »Ich gehe nicht mit.« Das war für den wie Verrat.
Natürlich habe ich in meiner Position eine gewisse Macht. Ich bin die Herrin über seinen Terminkalender, teilweise sortiere ich auch vor, welche Mandate er übernimmt. Wenn jemand anruft, und ich weià schon ganz genau, dass er auf diesen Fall keine Lust haben wird, dann leite ich das an einen anderen Anwalt in der Kanzlei weiter. Aber manchmal packe ich ihm auch mal so einen kleinen Popel-Fall dazwischen, weil ich denke: Das tut dem auch mal ganz gut. Mal für zwanzig Euro ein Beratungsgespräch mit einem Sozialhilfeempfänger führen. Damit er nicht so abhebt und den Blick für das normale Leben nicht verliert. Da erziehe ich ihn mir auch ein bisschen, ich finde, er braucht das.
Manchmal bin ich schon baff, wie ein Mann beruflich so erfolgreich sein kann und gleichzeitig mit ganz banalen Alltagsdingen völlig überfordert ist. Neulich stand er
vor mir und sagte: »Meine Waschmaschine ist kaputt!« - »Ja, schön«, habe ich gesagt. Und ihm geraten, zusammen mit seiner Haushälterin eine neue kaufen zu gehen, die weià wenigstens, was bei einer Waschmaschine wichtig ist.
Ich erledige auch all seine persönliche Korrespondenz und seine Bankgeschäfte, ich installiere bei jedem neuen Handy seinen Lieblingsklingelton und bespreche seine Mailbox. Er hat mir auch schon mal einen kaputten Rasierer in die Hand gedrückt, und ich sollte dafür sorgen, dass das Ding repariert wird. Ich buche seine Arzttermine, Opernkarten oder einen Tisch, wenn er sich mit seinen Skatbrüdern trifft.
Viele seiner Freunde kennen mich und rufen direkt bei mir an, wenn ich dafür sorgen soll, dass er an irgendetwas denkt oder rechtzeitig irgendwo ist. Ich muss darauf achten, dass er einigermaÃen pünktlich bei seinen Terminen auftaucht, er geht nämlich gerne knapp los. Da renne ich durchs ganze Haus auf der Suche nach ihm, hole ihn aus irgendwelchen Gesprächen mit Kollegen und sage: »So, los jetzt!« Ich stelle ihm seine Aktentasche schon an die Tür und halte ihm den Mantel hin, damit er unten direkt ins Taxi fallen kann. Einer seiner Freunde hat mich mal gefragt, ob ich eigentlich auch seinen Koffer packe, wenn er verreist. So weit kommtâs noch, habe ich gesagt.
Was mich am meisten nervt: Alles muss immer sofort passieren. Ich meine, die Post wird um
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