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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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Das ist auch ganz gut, das bewahrt eine gesunde Distanz.
    Ich weiß noch genau, wie ich an meinem ersten Tag durch die Kanzlei geführt wurde, und eine Mitarbeiterin zischte mir zu: »Herzliches Beileid!« Offensichtlich hatte es vor meiner Zeit einen regen Verschleiß an Sekretärinnen in seinem Vorzimmer gegeben. Es gab eine, die war so unsicher, die war schon am Zittern, bevor sie zu ihm ins Büro musste. Eine andere hatte vielleicht eine Spur zu viel Selbstvertrauen, das gefiel ihm dann auch nicht. Bei uns passt es offensichtlich wie Topf und Deckel, und ich bin auch keine, die schnell das Handtuch wirft.
    Ich muss schon zugeben, dass der Mann nicht einfach ist. Zum Beispiel ist er fürchterlich genau, besonders wenn es um Rechtschreibung geht. Er sieht jeden kleinen Fehler sofort. Und er hasst es, wenn Dinge nicht genauso gemacht werden, wie er sich das vorstellt. Auch wenn ich zu ihm sage »Das geht so nicht. Es geht einfach nicht!« Dann sagt er nur: »Doch, das muss irgendwie gehen.« Er hat einen richtigen Dickkopf, er ist nun mal der Chef und will das jetzt so haben.

    Manchmal bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ihn hinter seinem Rücken ein bisschen auszutricksen, bei Schriftsätzen zum Beispiel. Auch da hat er eine ganz bestimmte Vorstellung: Blocksatz, ein ganz bestimmter Zeilenabstand und eine ganz spezielle Schrift. Und alles soll immer unbedingt auf eine Seite passen. Er schafft es aber immer, so viel zu diktieren, dass »Mit freundlichen Grüßen« auf Seite zwei steht. Ein Phänomen! Also trickse ich ein bisschen mit den Schriftgrößen oder schiebe alles ein bisschen enger zusammen - wenn er das wüsste, wäre der Teufel los! Aber so technische Feinheiten bekommt er gar nicht mit.
    Ãœberhaupt: Technik! Ich bin mir sicher, dass er auch zu Hause einen Handwerker anruft, wenn ein Nagel in die Wand geschlagen werden muss. Er schafft es gerade noch, selber seine E-Mails zu lesen oder auszudrucken. Aber sobald da ein Anhang mit dabei ist, ist alles vorbei. Dann ruft er nach mir. Und je nachdem, wie hoch die Arbeitsbelastung ist, denke ich mir: Ja, Himmelherrgott noch mal, kann der das nicht selber machen? Das ist doch nicht so schwer! Wie oft ich aus seinem Zimmer den Satz: »Wieso druckt der das denn jetzt nicht?« höre. Dann flitze ich rüber, und es ist natürlich einfach nur das falsche Papierformat eingestellt - wie jedes Mal. Aber ich denke, da ändert er sich nicht mehr. Und ich nehme es mit Humor, so gut es geht.
    Es gibt nur eine technische Neuerung, die er beherrscht und die ich verfluche: Das iPhone. Seit er dieses Ding hat, kommt er überall an seine Mails. Dann ruft er mich von
unterwegs aus an, und ich soll sofort irgendetwas erledigen. Früher hat er die Mails erst im Büro gelesen, und dann war ja immer noch Zeit genug, darauf zu reagieren. Ich habe ihm schon gesagt: »Hören Sie auf, mich fernmündlich zu beschäftigen! Nur weil Sie nicht im Haus sind, heißt das nämlich nicht, dass ich nichts zu tun habe!«
    Was ich eigentlich ganz lustig finde, ist, dass er richtig eifersüchtig wird, wenn ich mal etwas für einen anderen Anwalt in der Kanzlei erledige. Oder mich um den ganzen anderen Bürokram kümmere, das, was man heutzutage »Backoffice« nennt - also Wasser bestellen, Toner nachfüllen, all diese Dinge. Das sieht er nicht gern, er will, dass ich immer und zu jeder Zeit nur für ihn da bin. Auch weil er weiß, dass er ohne mich verloren ist - und das ist ja auch eine Art Anerkennung für mich. Ich bin nie krank, aber letztes Jahr war ich vier Wochen krankgeschrieben. Als ich wiederkam, hat er gestrahlt über beide Backen und war auch ganz vorsichtig mit mir, damit ich nur ja nicht wieder ausfalle.
    Wenn man so lange zusammenarbeitet, versteht man sich auch ohne Worte. Ich höre schon an der Art und Weise, wie er stöhnt, welche technische Hilfestellung gerade nötig ist - ob der Drucker Papierstau hat oder irgendetwas mit seinem Handy nicht klappt. Wenn ich seine Diktate abschreibe, dann sind meine Finger schneller als das, was ich im Ohr habe, weil ich schon weiß, wie er die Sätze beendet. Ich finde innerhalb von einer Minute uralte Unterlagen, die außer mir kein Mensch mehr aufgehoben
hätte, weil ich schon weiß, dass er eines Tages auf die Idee kommt, die jetzt ganz dringend zu brauchen. Ich kenne seinen Schreibtisch besser als er selbst, weil ich

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