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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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Handschuhe mitbringen.
    In meiner Klasse sitzen fünfundzwanzig Erst- und Zweitklässler, von denen rund ein Drittel eigentlich besondere Förderung bräuchte, aber dafür fehlt einfach das Personal. Ich habe ein Mädchen, die bemüht sich wirklich sehr, aber die ist einfach überfordert. Ich lege drei Stifte auf ihren Tisch und frage sie: »Wie viele Stifte siehst du?« Und sie antwortet: »Vier.« Ich sage: »Zähl sie mir vor!« Und sie zählt: »Eins, zwei, drei, vier.« Die Mutter fällt als Unterstützung total aus, die kommt nicht mal, wenn wir einen Gesprächstermin ausgemacht haben. Das Mädchen hat nie Erfolgserlebnisse und wird immer unmotivierter und verschlossener. Für solche Kinder müssten
mehr Sonderpädagogen an der Schule sein, damit die speziell betreut und gefördert werden können. Das bringt doch nichts, die auf Teufel komm raus mitzuschleppen, ohne was zu tun.
    Ich muss immer an meine ganzen Kollegen aus der Studentenzeit denken, die ein freiwilliges soziales Jahr in Ecuador oder irgendwo in Afrika gemacht haben, weil sie benachteiligten Kindern helfen wollten. Jetzt denke ich: Die bräuchten wir dringend hier bei uns in Deutschland, man muss gar nicht unbedingt in die Dritte Welt.
    Es wäre auch nicht schlecht, ein paar mehr Männer im Kollegium zu haben. Aber: Für Männer ist der Job einfach nicht attraktiv genug. Er hat wenig Prestige, und man kann auch nicht groß aufsteigen. Ist sicher kein Zufall, dass die wenigen Männer an der Grundschule meistens schnell zu Grundschuldirektoren werden. Das ist eine Position, die ein bisschen was hermacht, und man kümmert sich hauptsächlich um administrativen Kram. Dabei wären ein paar männliche Rollenvorbilder in der täglichen pädagogischen Arbeit wirklich wichtig, gerade für die Jungs.
    Die Kinder sind sehr anhänglich und liebesbedürftig. Sie wollen für alles Bestätigung und brauchen viel Lob, im Grunde suchen ja auch die, die ständig stören, hauptsächlich meine Aufmerksamkeit. Alle Kinder haben bei mir die gleichen Chancen. Aber ich bin nicht frei davon, manche einfach mehr zu mögen als andere. Das ist wie mit Erwachsenen auch, mit manchen kommt man einfach besser klar. Es gibt Kinder, an die denke ich oft in den Ferien
und frage mich, wie es ihnen wohl geht. Andere vergesse ich sehr schnell wieder.
    Es gibt in meiner Klasse einen Jungen, der geht mir einfach wahnsinnig auf den Geist. Der petzt und ist hinterfotzig und braucht ständig eine Extrawurst. Die Eltern haben ein ganz anderes Bild von ihrem Kind und glauben, er sei der reinste Sonnenschein. Aber mir fällt es zunehmend schwer, ihn zu mögen. Und dann gibt es ein paar sehr verschlossene Mädchen, die man immer wieder ganz vorsichtig fragen muss, ob alles in Ordnung ist, ob sie Kummer haben. Die öffnen sich überhaupt nicht.
    In der Regel hilft es dann, ihnen einen Dienst zu geben. Tafeldienst zum Beispiel. So etwas machen alle total gerne, für etwas Verantwortung übernehmen. Damit signalisiere ich ja auch: Hey, ich traue dir etwas zu. Und wenn man die Kinder manchmal nach dem Unterricht noch etwas länger dabehält und sich etwas persönlicher mit ihnen unterhält, dann fassen sie auch irgendwann Vertrauen.
    Erzählen die Kinder von zu Hause, dann versteht man vieles. Ein Junge zum Beispiel war wochenlang total unkonzentriert und merkwürdig. Und dann hat er erzählt, dass seine Mutter ein neues Baby bekommen hat. Sie teilen sich alle ein Zimmer, das Baby schreit die ganze Nacht, und er kann nicht schlafen. Jetzt soll er erst mal zu seinem Vater ziehen, zu dem er aber vorher fast keinen Kontakt hatte. Und wenn das Baby dann etwas größer ist, dann soll er wieder zurück zur Mutter.
    Das ist schon traurig, wie viel diese Kinder auf ihren
Schultern tragen. Die bekommen Sachen mit, für die sie emotional noch gar nicht gewappnet sind. Diese ständig zerbrechenden neuen Beziehungen, dass alle Geschwister einen unterschiedlichen Vater haben, Geldsorgen, Sorgerechtsstreitigkeiten. Die Eltern reden vor den Kindern schlecht übereinander: »Dein Vater, das Arschloch, der kriegt doch nie was auf die Reihe!«, solche Sachen. Kinder wollen, dass es ihren Eltern gut geht. Es ist ganz schwer für sie, wenn sie das Gefühl haben, sie müssen auf ihre Mütter aufpassen. Oder sich um deren Sorgen kümmern.
    Umgekehrt würde ich mir

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