Wir sind bedient
es nicht. Kaum eine Frau trennt sich sofort nach so einer Erfahrung. Und: Jeder kann Opfer von häuslicher Gewalt werden, das ist keine Frage des sozialen Milieus.
Ich arbeite für einen Verein, der ein Frauen- und Kinderschutzhaus betreibt und Opfer von häuslicher Gewalt berät. Mein Arbeitstag beginnt morgens um acht Uhr mit einem Blick auf unser Fax: Die Polizei benachrichtigt uns, wenn es in der Umgebung Fälle von häuslicher Gewalt gegeben hat. Wenn die Opfer - in der Regel Frauen - damit
einverstanden waren, dass wir uns mit ihnen in Verbindung setzen, rufe ich dort an und fahre für ein Beratungsgespräch vorbei oder treffe mich mit der betroffenen Frau in einem nahe gelegenen Café.
Diese Kooperation mit der Polizei ist ein groÃer Fortschritt, weil wir so auf die Opfer zugehen können und nicht darauf warten müssen, dass sie den Weg zu uns finden. Die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen, ist für viele sehr groÃ. Weil gerade auf dem Land eine groÃe soziale Kontrolle herrscht, da ist es schlimm genug, wenn die Nachbarn mitbekommen haben, dass die Polizei kommen musste.
Viele Frauen schämen sich, Hilfe zu benötigen, oder glauben, wenn sie in ein Frauenhaus gehen, dann dürfen sie nie wieder einen Mann angucken. Und die Zeit spielt eine wichtige Rolle. Zwei Wochen nachdem man verprügelt wurde, relativiert sich vieles, die Motivation, etwas zu unternehmen, sinkt. Viele Frauen denken: Ich muss mich ändern, ich muss mir einfach noch mehr Mühe geben, dann werde ich auch nicht mehr geschlagen. Deshalb ist es so wichtig, möglichst schnell da zu sein und den Frauen aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sie haben.
Wenn ich dann vor Ort bin und mit den Frauen sprechen kann, stehen viele noch ziemlich unter Schock. Oft ist der Täter aus der Wohnung gewiesen worden, das kann die Polizei für maximal sieben Tage verfügen. Und diese Zeit hat die Frau, um sich zu überlegen: Was mache ich jetzt? Viele hatten noch nie mit einem Anwalt zu tun oder einem Gericht. Wir begleiten Frauen auch zum Arzt
oder zur Gerichtsmedizin, wenn sie das wollen. Und im ersten Gespräch kommen ganz existenzielle Fragen hoch: »Wenn ich mich trenne, was ist mit den Kindern? Wovon soll ich leben? Woher bekomme ich Geld? Wo soll ich wohnen?«
Die allermeisten wollen sich erst mal gar nicht trennen. Sie wollen, dass die Gewalt aufhört und dass sie keine Angst mehr haben müssen. Was ich oft höre, ist: »Eigentlich ist er ein ganz Lieber, und ich liebe ihn, aber er trinkt halt manchmal zu viel, und dann passiert so was.« Oft sind die Männer ja nach so einem Gewaltausbruch sehr liebevoll. Beteuern, wie leid es ihnen tut und dass sie ohne die Frau nicht leben können. Da schmilzt natürlich das Herz, gerade bei Frauen, die das schon lange nicht mehr aus dem Munde ihres Partners gehört haben.
Ich kann das gut verstehen, niemand ist nur schlecht, und in jeder Beziehung gab es auch mal gute Zeiten. Oft ist es ja schon ein Fortschritt, wenn wir die Frauen wenigstens dazu bringen, von ihren Männern echte Schritte zu verlangen. Zu sagen: »Gut, ich bleibe. Aber nur unter der Voraussetzung, dass du dich auch beraten lässt und etwas gegen die Trinkerei unternimmst. Dass wir eine Paarberatung machen.«
Auch wenn es mir manchmal schwerfällt: Ich muss akzeptieren, dass es einfach Frauen gibt, die sich für eine Gewaltbeziehung entscheiden. Die es nicht schaffen, sich daraus zu lösen. Ich kann nur immer wieder beraten, aber ich darf keinen Druck ausüben. Weil es wichtig ist, dass die Frauen den Kontakt zu mir nicht abbrechen und im
Zweifel wieder anrufen, wenn etwas passiert. Bei denen sitze ich wieder und wieder auf dem Sofa, und jedes Mal ist die Situation schlimmer eskaliert. Und trotzdem gibt es tausend Gründe zu bleiben: Es gab eben auch mal gute Zeiten, da ist das gemeinsame Haus, die Kredite, die Kinder, vielleicht Eltern, die gemeinsam betreut werden.
Ich kann nur versuchen zu erklären, dass sich die Situation von allein nicht ändern wird. Manchmal muss ich denen auch knallhart die Wahrheit vor Augen führen, weil diese Frauen dazu neigen, zu bagatellisieren. Es gibt das »Rad der Gewalt« - die Ausbrüche werden heftiger, die Abstände immer kürzer, die Entschuldigungen werden immer häufiger. Ich sage: »Erst hat er Sie nur geschubst, beim letzten Mal hatten Sie schon Hämatome, und dieses Mal musste der
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