Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
Vom Netzwerk:
Beratungstelefon an und sagte, dass er das Frauenhaus abfackelt, dass er uns alle umbringen wird. Das hat mich erst nicht groß bewegt, es gibt immer mal Spinner, die uns bedrohen, und eigentlich machen die mir auch nicht so schnell Angst. Aber an einem Abend hatte ich Bereitschaftsdienst und hatte das Telefon mit nach Hause genommen. Meine Kinder haben laut im Hintergrund gespielt, als dieser Typ wieder anrief und sagte: »Aha, du hast also Kinder? Ich finde raus, wo du wohnst, und dann kriege ich euch. Dann bringe ich euch alle um!«
    Das war ein Schock, ein richtiger Stich im Magen. Und da habe ich doch Angst bekommen. Zum Glück haben sie den Typen gekriegt und in eine Klinik eingewiesen.
    Es gibt immer wieder so Erlebnisse, die einen lange nicht loslassen. Eine Mutter, die von der Polizei zusammen mit ihrer Tochter ins Frauenhaus gebracht wurde,
mitten in der Nacht. Die Tochter hatte der Mutter gerade anvertraut, dass der Vater sie missbraucht. Die ist aus allen Wolken gefallen und stand völlig unter Schock. Und draußen lief der Vater mit einer Waffe rum und hat sich noch in derselben Nacht erschossen.
    Oder eine Frau mit Drogenproblemen, die eines Nachts einfach verschwunden ist und uns die Kinder dagelassen hat. Ein paar Tage später hat man sie dann tot gefunden, wahrscheinlich eine Überdosis … Wir hatten auch schon Selbstmordversuche im Haus. Und da fragt man sich natürlich schon: Hätte ich da besser hinschauen müssen? War ich nicht ansprechbar genug? Habe ich Signale übersehen?
    Jeden Monat habe ich eine Woche und ein Wochenende lang Bereitschaftsdienst. Das heißt, ich muss jederzeit erreichbar sein und im Zweifel sofort alles stehen und liegen lassen und zu einem Einsatz fahren - egal, ob es mitten in der Nacht ist oder ich in der Sauna bin oder im Kino sitze. Wenn zum Beispiel eine Frau nachts von der Polizei ins Frauenhaus gebracht wird, muss ich da sein und sie aufnehmen. Und natürlich auch für ein Gespräch zur Verfügung stehen. In dieser Zeit müssen einfach alle privaten Verpflichtungen zurückstehen, das ist nun mal der Job.
    Ich glaube, man muss schon ein bisschen der Typ dafür sein, um an so einer Arbeit auch Spaß zu haben. Ich wundere mich immer, wie häufig ich auf der Straße von fremden Leuten angesprochen werde. Oder wie oft ich zum Beispiel in der S-Bahn mit jemandem ins Gespräch komme,
der mir dann ganz unvermittelt etwas sehr Privates erzählt. Da frage ich mich schon: Steht mir auf der Stirn geschrieben, dass ich Sozialarbeiterin bin? Ganz offensichtlich strahle ich etwas aus, was es den Menschen leicht macht, sich zu öffnen.
    Das bedeutet für mich aber auch, dass ich gut auf mich aufpassen muss. Ich darf einfach nicht alles an mich ranlassen, ich bin nicht die Retterin der Welt.
    Auch muss ich immer ein bisschen darauf achten, von den betroffenen Frauen nicht zu schnell für eine Freundin gehalten zu werden. Natürlich gibt es ein vertrauensvolles Verhältnis, und man kommt sich nah. Aber es gibt eben auch Momente, wo ich sagen muss: »Ich kann nicht mehr, ich brauche eine Pause, um zu regenerieren, dann bin ich morgen wieder fit und für alle da. Aber bis dahin: Erzähl es bitte jemand anderem.« Die meisten Frauen akzeptieren das auch und nehmen es nicht persönlich. Es ist auch für sie manchmal ganz entlastend zu sehen, dass wir auch nicht immer alles wissen und auf die Reihe kriegen, mal einen schlechten Tag haben. Und mit der Zeit habe ich das auch für mich akzeptiert: Ich muss nicht immer die perfekte Beraterin sein, die für alles eine Lösung hat und immer sagen kann: »Da geht’s lang!«
    Ich wundere mich oft, wie viel Kraft diese Frauen haben. Was die alles aushalten. Auch wenn sie jahrelang misshandelt werden, teilweise völlig isoliert sind, schaffen es viele, dabei doch ihre Kinder zu sehr stabilen Persönlichkeiten zu erziehen oder erfolgreich in ihrem Job zu sein. Und das sage ich ihnen auch immer: »Das ist toll,
was du geleistet hast. Du hast Ressourcen in dir, die es dir möglich gemacht haben, das alles auszuhalten und jetzt hier vor mir zu sitzen. Jetzt zeige ich dir ein paar Möglichkeiten auf, wie du diese Kraft nutzen kannst, dein Leben weiterzuleben, ohne Gewalt.«
    Viele Frauen brauchen einfach jemanden, der ihnen in diesem ganzen Chaos als Lotse dient. Wir vermitteln sie zur Schuldnerberatung, gehen mit ihnen auf die Ämter, vermitteln

Weitere Kostenlose Bücher