Wir sind die Nacht
sah sie schwärmerisch an. »Ein wundervoller Name. Und er passt zu seiner Trägerin, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.«
Lena war sich nicht sicher, ob sie es gestattete, aber sowohl Louise als auch Charlotte lächelten, als beanspruchten sie zumindest einen Teil des Kompliments für sich. Nora zog die linke Augenbraue hoch.
»Gehen Sie bitte zu den Umkleidekabinen«, sagte Marcus lächelnd. »Die Apparate brauchen noch ein paar Minuten, dürften aber in Kürze zu Ihrer Zufriedenheit laufen.« Er trat beiseite und machte eine einladende Geste.
Sie durchschritten zwei weitere Türen, gingen eine kleine Treppe hinauf und betraten schließlich einen dunkelblau gefliesten Bereich, der unangenehme Assoziationen in Lena wachrief.
»Da hinten sind die Umkleidekabinen«, sagte Louise mit einem knappen Kopfnicken. »Falls du schamhaft bist.«
»Ist aber nicht nötig«, fügte Charlotte hinzu. »Die Videoüberwachung ist aus, und Marcus guckt nicht hin.«
»Jedenfalls nicht bei allen«, sagte Nora.
Lena wollte nicht über die Bedeutung dieser Bemerkung nachdenken, sondern fing das winzige schwarze Stoffbündel auf, das Louise aus ihrer Umhängetasche gefischt hatte und ihr nun zuwarf. Albern oder nicht - sie drehte sich tatsächlich schamhaft um und bemühte sich auch, möglichst schnell aus ihren Kleidern zu schlüpfen und den winzigen Bikini anzuziehen.
Trotzdem war sie als Letzte fertig. Die drei anderen starrten sie mit gutmütigem Spott an, als sie sich wieder zu ihnen herumdrehte. Louise und Nora trugen den gleichen knapp sitzenden schwarzen Bikini wie sie, Charlotte dagegen einen hoffnungslos
altmodischen Badeanzug, der ihr aber ausgezeichnet stand.
»Jetzt sagt bloß nicht, dass wir ins Schwimmbad gehen«, sagte Lena missmutig. »Das hätten wir im Hotel einfacher haben können.«
»Komm«, sagte Louise, »gib mir die Hand. Und mach die Augen zu. Oder lass sie offen. Egal.«
Lena gab ihr weder die Hand, noch schloss sie die Augen, aber Louise hatte recht: Es war wirklich egal. Als sie den Raum verließen, umgab sie vollkommene Dunkelheit. Ihre Schritte erzeugten Echos, die ihr verrieten, dass sie sich in einem sehr großen Raum befanden. Es war warm, die Luft roch … seltsam, und unter ihren nackten Zehen knirschte Sand.
»Nur noch einen kleinen Moment Geduld«, sagte Louise. »Du wirst sehen, es lohnt sich.«
Die Dunkelheit hielt noch einen Moment an, dann erschien ein dünner orangeroter Streifen irgendwo in unbestimmbarer Entfernung vor ihnen; ein virtueller Sonnenaufgang an einem ebenso virtuellen Horizont, der mit der für die Tropen typischen Schnelligkeit vonstattenging. Ein sachter, angenehm warmer Wind kam auf und begann sanft mit Lenas Haar zu spielen. Die Luft roch mit einem Mal nach warmem Sand und Salzwasser, und im gleichen Maß, in dem der rot glühende Sonnenball über den Horizont stieg, gesellte sich ein leises Wellenrauschen und dann sogar das ferne Kreischen von Möwen hinzu; vielleicht auch das Schnattern anderer, exotischerer Tiere. Wärme streichelte ihr Gesicht, und Lena fuhr ganz leicht und erschrocken zusammen, doch bevor sie den Mund aufmachen konnte, hob Louise beruhigend die Hand.
»Keine Sorge«, sagte sie. Orangerotes Licht spiegelte sich in ihren Pupillen und ließ sie wie unter einem unheimlichen inneren Feuer aufleuchten. »Die UV-Lampen sind ausgeschaltet. Marcus weiß, was er tut.«
Daran zweifelte Lena keinen Moment; wäre es anders, dann wären sie jetzt schon tot oder würden sich als lichterloh brennende Fackeln am Boden wälzen. Dennoch schlug ihr Herz schneller, und die Angst wollte nach ihr greifen, als hätte etwas in ihr diesen lodernden Feuerball instinktiv als ihren schlimmsten Feind erkannt. Eines von ganz wenigen Dingen, die sie tatsächlich töten konnten.
Zeit verging, vielleicht Minuten, vielleicht Stunden, vielleicht auch nur ein Augenblick, in der sich der tropische Sonnenaufgang weiter wie im Zeitraffer vollzog, und irgendwann standen sie im weißen Sand eines tropischen Traumstrandes, über dem sich ein azurblauer Himmel spannte. Anmutige Federwolken, aus denen es niemals regnen würde, glitten majestätisch über ihnen dahin, und irgendwo hinter ihnen hob das schrille Kreischen eines Papageien an. Künstliche Palmen raschelten in einem angenehm kühlen Wind, und die Sonne kam erst in einer Position zur Ruhe, die dem frühen Vormittag entsprach; schon weit genug vom Morgen entfernt, um die Leben spendende Kraft der Sonne zu spüren, aber
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